Die Zentralität der Peripherie

(01. Oktober 2010 - 15.15 bis 18 Uhr - HS 1.204)

Leitung: Dr. Charlotte Lerg, München



1. Polish Periphery? The Case of the Carpathian Mountains

Referent/in: Dr. Patrice M. Dabrowski, Amherst


2. Die Peripherie zwischen den Zentren: Tucson und Arizonas Süden

Referent/in: Torsten Kathke, M.A., München


3. Euclides da Cunhas „Krieg im Sertão“ und die Entdeckung der Peripherie in Brasilien

Referent/in: Prof. Dr. Ursula Prutsch, München


4. Die Peripherie im Zentrum des Kampfes. Die Erfahrung der „Sprachgrenze“ im deutschösterreichischen und reichsdeutschen Nationalismus

Referent/in: Dr. Julia Schmid, Tübingen


5. Moderation: Prof. Dr. Michael Hochgeschwender, München


Abstract

Zentrum und Peripherie evozieren nicht nur klare Räumlichkeiten, sondern gleichzeitig eine
inhärente soziale und politische Dynamik. Ihre Gegenüberstellung beschreibt eine
geographische sowie eine soziostrukturelle Hierarchie (C. Daniels und M. Kennedy (hrsg.):
Negotiated Empires: Centers and Peripheries in the Americas, 1500-1820, New York 2002).
Das leuchtet auch für die Geschichtsschreibung ein, wenn man bedenkt, dass nationale
Narrative lange Zeit von der Mehrheitsgesellschaft und vom Zentrum her erzählt wurden. Die
besonderen Gegebenheiten von Grenzregionen rücken jedoch zunehmend in das Interesse von
historischen Studien zu der Lebenswelt im Grenzraum, der frontière oder den borderlands.
Die Untersuchungen, die sich speziell auf die Peripherie als Erfahrungsraum – als reflektierte
Erlebniswelt – konzentrieren, verstehen den Grenzraum nicht mehr ausschließlich als von der
Mitte her definiert, sondern untersuchen das Selbstverständnis der Akteure vor Ort. Das
Zentrum, politisch, wirtschaftlich oder kulturell definiert, bleibt jedoch der ordnende
Referenzpunkt. Terminologien wie „Konstruktion ‚von oben’ und ‚von unten’“ (Etienne
Francois, Jörg Seifarth und Bernhard Struck (hrsg.): Die Grenze als Raum, Erfahrung und
Konstruktion. Deutschland, Frankreich und Polen vom 17. bis 20. Jahrhundert, Frankfurt
2007) weisen darauf hin, dass die Hierarchisierung von Zentrum und Peripherie immer
vorausgesetzt wird.

In den Diskursen um Nation, Einheit und Identität während des 19. Jahrhunderts und darüber
hinaus, wurde realen und wahrgenommenen Grenzen stets hohe Bedeutung beigemessen.
Diese Entwicklung ist, wie Benedict Anderson bemerkt, eng mit dem Aufkommen
territorialer Nationen verbunden, die – anders als in „wirklichen Monarchien“ – nicht mehr
alleine „durch Zentren definiert wurden“, sondern in denen die Souveränität „gleichmäßig
über jeden Quadratmeter eines legal abgegrenzten Territoriums“ verteilt sein sollte. Damit
erhielten die Grenzgebiete, die zuvor kaum klar festgelegt waren neue Relevanz. (B.
Anderson: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines erfolgreichen Konzepts,
Frankfurt/M. 1988) Letztlich gibt es ohne Peripherie kein Zentrum, so dass sich die Frage
stellt, ob nicht das Selbstverständnis der ganzen Nation, oder doch zumindest einzelner
Strömungen, von der Peripherie her gedacht werden kann – oder muss.

Vor diesem Hintergrund beleuchten die Vorträge dieser Sektion das Spannungsverhältnis
zwischen Zentrum und Peripherie auf innovative Weise. Der Schwerpunkt auf dem 19.
Jahrhundert, das als formative Phase der Nationalstaaten gilt, liegt in diesem Kontext nahe.
Alle loten für die untersuchten Regionen die Bedeutung der Peripherie für das
Selbstverständnis von Zentrum und Hinterland aus. Gleichzeitig gilt ihre Aufmerksamkeit der
Überlegung, ob und wie sich die vom Zentrum auf den Grenzraum projizierte Funktion dort
selbst manifestiert, ob sie akzeptiert oder bestritten wird und welche Auswirkungen sie auf
das Selbstverständnis der Region innerhalb des nationalen Gefüges hat. In diesem
Wechselspiel wird die klassische Hierarchie von Zentrum und Peripherie zur Diskussion
gestellt.

Die unterschiedlichen geographischen Ausrichtungen (Polen, Deutschland/Österreich und die Amerikas) sowie die Schwerpunktsetzung auf Räumlichkeit, Sprache und Organisation ermöglichen differenzierte Perspektiven auf die Fragestellung der Sektion: Liegt die Peripherie im Zentrum der (konstruierten) Nation?

Vorträge Epoche
Polish Periphery? The Case of the Carpathian Mountains Neuere/Neueste Geschichte
Die Peripherie zwischen den Zentren: Tucson und Arizonas Süden Neuere/Neueste Geschichte
Euclides da Cunhas „Krieg im Sertão“ und die Entdeckung der Peripherie in Brasilien Neuere/Neueste Geschichte
Die Peripherie im Zentrum des Kampfes Neuere/Neueste Geschichte