Kulturen des Wahnsinns: Grenzphänomene einer urbanen Moderne

(29. September 2010 - 9.15 bis 13. Uhr - HS 1.103)

Leitung: Prof. Dr. Rüdiger vom Bruch, Berlin / Prof. Dr. Volker Hess, Berlin

 

1. Ver/rückte Evidenzen. Transferraum Trance

Referent/in: Prof. Dr. Gabriele Dietze, Berlin / PD Dr. Dorothea Dornhof, Frankfurt/O.

2. Grenzüberschreitungen: Wahnsinn in Erzählungen der Großstadt um 1900

Referent/in: Sophia Könemann, Berlin

3. Grenzräume. Die Poliklinik und das Aufnahmebüro der Berliner Nervenklinik um 1900

Referent/in: Prof. Dr. Volker Hess, Berlin / Sophie Ledebur, Berlin

4. „Grenzzustände“. Zur medizinischen und erziehlichen Behandlung psychopathischer Jugendlicher in der Weimarer Republik

Referent/in: PD Dr. Thomas Beddies, Berlin


Abstract

Der medikalisierte Wahnsinn der Psychiatrie stellt in im gesellschaftlichen Umbruch der Moderne einen historischen Fluchtpunkts jenes Spektrums von Sinnlosigkeit, Unsinn und Wahnwitz dar, der sich seit Sprengung der Türen des Tollhauses im ausgehenden 18. Jahrhundert zu entfalten begann. Psychologen, Pädiater und Pädagogen, Philosophen, Kriminal- und Polizeiwissenschaftler hatten sich ebenfalls des schillernden Begriffs angenommen und ihn entlang der Grenzziehung „gesund oder krank“ für unterschiedliche Lebens- und Wirklichkeitsbereiche ausdifferenziert. Das Genie, die urbanen Gegenkulturen der Bohème, die radikale Avantgarde der Ateliers, die Traumsprache des Dadaismus – aber auch viele Grenzbereiche des gesellschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Lebens reflektieren etwas von der alten Vielgestaltigkeit des Wahnsinns. Wahnsinn figuriert eine radikale Alterität: den Regelverstoß, die Anomalie, das Außergewöhnliche, den Flirt mit dem Paranormalen, die kreative Potenz, den expressionistische Aufschrei oder die sexuelle Libertinage. Grenzbestimmungen und Grenzziehungen sind zentral für die Frage des modernen Wahnsinns. Jede Überschreitung ist zugleich eine performative Grenzziehung.

Das interdisziplinär zusammengesetzte Panel thematisiert Grenzüberschreitungen in ihrer diskursiven, epistemologischen, institutionellen und medialen Dimensionen: Die Ausweitung der psychiatrischen Versorgung zu einem liminalen Grenzraum (Hess/Ledebur), die verrückten Evidenzen okkulter Medien in Wissenschaft, Kunst und Kultur (Dietze/Dornhof), der Einsatz der Erziehung zur Therapie der Gesellschaft (Beddies) zeigt die Grenzüberschreitungen zwischen Kunst und Wissenschaft ebenso wie zwischen dem Privaten und Öffentlichen.

Mit dem Begriff des Schwellenraumes werden die verschiedenen Ausdrucks-, Regulierungs- und Diskursivierungsformen modernen Wahnsinns als urbanes Dispositiv analysiert und die Interferenzen zwischen Subjekt- und Kulturgeschichte, zwischen Wissen und Wahn, zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit erschlossen. Dies eröffnet einen neuen Blick auf die Differenzen kultureller Milieus und den Bedeutungsraum von Wahnsinn in der sich entfaltenden Großstadtkultur.

Vorträge Epoche
Ver/rückte Evidenzen. Transferraum Trance Neuere/Neueste Geschichte
Grenzräume. Die Poliklinik und das Aufnahmebüro der Berliner Nervenklinik um 1900 Neuere/Neueste Geschichte
Grenzüberschreitungen: Wahnsinn in Erzählungen der Großstadt um 1900 Neuere/Neueste Geschichte
Grenzzustände. Zur medizinischen und erziehlichen Behandlung psychopathischer Jugendlicher Neuere/Neueste Geschichte