Ein verlorenes Jahrzehnt? Die 1970er Jahre in Frankreich und Großbritannien

SONJA LEVSEN (Freiburg i.Br.)
Einführung. Britische und französische Debatten über die 1970er Jahre in vergleichender Perspektive

CHRISTIANE REINECKE (Paris/Hamburg)
Die dunkle Seite des Wachstums. Zu einer Neubewertung der „Trente Glorieuses“ in der französischen Zeitgeschichte

JÖRG ARNOLD (Nottingham)
Vom Verlierer zum Gewinner – und zurück. Der „coal miner“ als Schlüsselfigur der britischen Zeitgeschichte

HÉLÈNE MIARD-DELACROIX (Paris)
Zwischen Bewegung und Versteifung. Frankreich in den 1970er Jahren

NICOLE KRAMER (Frankfurt am Main)
Kehrseiten des Krisenjahrzehnts. Neue Herausforderungen und gesellschaftliche Innovationen in Großbritannien

DIETMAR SÜSS (Augsburg)
Kommentar

Abstract:

Die Jahre „nach dem Boom“ sind in jüngster Zeit in den Fokus der deutschen Zeitgeschichtsschreibung gerückt.  Charakterisiert werden sie als Epoche der Krise,  des wirtschaftlichen „Strukturwandels“ und eines parallel dazu sich vollziehenden „Wertewandels“. Wiewohl Historiker die Dekade als Phase der engen Verflechtung westlicher Gesellschaften beschreiben, konzentrieren sich doch die bisherigen Interpretationen und die Debatte über die Begriffe zu ihrer Deutung stark auf deutsche Entwicklungen. Die zugrundeliegenden Prozesse gelten als transnationale – so gerade der wirtschaftliche „Strukturwandel“ und der damit verbundene soziale Wandel. Die gängige Rede von „Westdeutschland und Westeuropa“ betont diese transnationalen Gemeinsamkeiten, verdeckt jedoch die auf vielen Feldern weiterhin tiefgreifenden Unterschiede zwischen etwa britischen, deutschen und französischen Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in den 1970er Jahren. Die jüngeren britischen und französischen Debatten über das Jahrzehnt werden hierzulande wenig wahrgenommen; die jeweiligen Historiographien befruchten sich kaum grenzübergreifend.

In diese ‚Kommunikationslücke‘ zielt die vorgeschlagene Sektion. Sie rückt einige Spezifika britischer und französischer – zeitgenössischer ebenso wie historiographischer – Deutungen der 1970er Jahre in den Blick und will damit die derzeitige Debatte über die 1970er Jahre erweitern, aber auch modifizieren. Die Vorträge werden von drei grundlegenden Fragestellungen verbunden: Sie widmen sich erstens der Frage nach zeitgenössischen und historiographischen Deutungen des „Krisen“-Jahrzehnts als „Gewonnenes“ oder „Verlorenes“, des Aufbruchs oder des Niedergangs; sie zeichnen ein Spektrum ambivalenter und sich wandelnder Zuschreibungen von Gewinner- und Verliererrollen. Sie fragen zweitens kritisch danach, wie sich vorherrschende Zuschreibungen an die 1970er Jahre – als Krisen-, Umbruchs-, Wandelsjahrzehnt – verändern oder relativieren, wenn man sie in einen längeren Zusammenhang stellt. Drittens richten sie das Augenmerk auf nationale Spezifika in den gesellschaftlichen Entwicklungen dieses Jahrzehnts und eruieren damit auch den Einfluss verschiedener Akteursgruppen auf die Ausgestaltung der Folgen transnationaler Wandlungsprozesse.