Gender, Markt und Religion in den USA im langen 20. Jahrhundert
Während die Marktförmigkeit der religiösen Landschaft in den USA gut untersucht ist und die Bedeutung der Kategorie Gender für das Verständnis unterschiedlicher religiöser Phänomene fest etabliert scheint, werden beide Phänomene nur selten zueinander in Bezug gesetzt. Damit bleiben die konkreten Machtverhältnisse innerhalb religiöser Gruppen sowie zwischen diesen jedoch tendenziell ebenso unklar wie die Frage, welche Rolle Vorstellungen von Geschlecht für den bis weit ins zwanzigste Jahrhundert anhaltenden Erfolg immer neuer religiöser Gruppen spielten. Zudem lag der Fokus religionsgeschichtlicher Studien zur Rolle von Geschlecht lange auf der zentralen Rolle, die Frauen als Anhängerinnen und Organisatorinnen im Hintergrund spielten, während Männer in Führungsrollen porträtiert wurden – die sie tatsächlich viel häufiger als Frauen einnehmen. Dieses Panel möchte hiermit in dreifacher Weise brechen: Zum einen werden Frauen in Führungsrollen ins Zentrum gerückt. Zum anderen beschäftigt sich das Panel auch mit queeren religiösen Lebenswegen. Schließlich wird der Intersektionalität der Kategorien „race“ und „gender“ besondere Aufmerksamkeit geschenkt. In diesem Sinne möchte das Panel das Verhältnis von Gender, Markt und Formen protestantischer Religion, die auf Grund ihrer denominalen Struktur als besonders affin für marktförmige Dynamiken gelten, im langen 20. Jahrhundert näher ausleuchten. Wir interessieren uns für Fragen zur Rolle von Geschlechtszuschreibungen und stellen konkrete Vorstellungen, Herstellungsbedingungen und Medialisierungen sowie deren Veränderungen in den Mittelpunkt. Die einzelnen Vorträge diskutieren das Verhältnis von Geschlecht, Markt und Religion in konservativen und liberalen protestantischen Strömungen vom späten 19. Jahrhundert bis ins 21. Jahrhundert.
Seit den 1970er Jahren hat sich auf dem US-amerikanischen Buchmarkt das Genre der queer religious confessions etabliert. Queere (ehem.) Pfarrer:innen schildern ihre Lebensgeschichten, Comingouts und Erfahrungen mit Kircheninstitutionen. Der Vortrag untersucht anhand zweier Biographien (Denman 1990, Rush 2001) den Zusammenhang von Markt, Geschlecht, Homosexualität und Berufsausübung. Zentrale Aspekte sind die Einengung heteronormativer Vorstellungen, ökonomische Vorteile und Zwänge des Pfarrberufs in der Methodistischen Kirche sowie die Selbstvermarktung queerer Biographien. Schließlich eröffnet der US-Markt alternative Berufs- und Umwege, etwa durch Kirchenwechsel oder die Gründung von Hausgemeinden.
Der Vortrag untersucht das Verhältnis von Geschlecht, Markt und Religion in den USA im frühen 20. Jahrhundert anhand eines ihrer wichtigsten Protagonisten, Bruce Barton. Er gehörte zu den Pionieren der Werbeindustrie und avancierte als religiöser Schriftsteller zu den meistgelesenen Autoren der Zwischenkriegszeit. Barton propagierte ein Jesus-Bild, das Männlichkeitsvorstellungen der kapitalistischen Moderne mit christlichen Vorstellungen in Einklang zu bringen suchte und bot so einen vermeintlichen Ausweg aus der Glaubenskrise, die viele protestantische Männer damals erlebten. Zugleich zeigt sein Fall, dass sozialreformerische Anliegen im amerikanischen Protestantismus im 20. Jahrhundert zugunsten neuer Techniken der Selbstperfektionierung zurücktraten und dessen Marktförmigkeit erhöhten.
Dieser Vortrag untersucht die Bedeutung der Kategorien von race und gender in der medialen Konstruktion religiöser Führungspersönlichkeiten im langen 20. Jahrhundert. Drei Befunde stehen im Mittelpunkt: Erstens funktionierte die mediale Inszenierung der wenigen erfolgreichen religiösen Frauen genau wie diejenige nicht-weißer Männer grundsätzlich anders als die männlicher weißer Führungspersönlichkeiten. Zweitens war weibliche – im Gegensatz zu männlicher – Körperlichkeit entweder kein Thema oder Mittel zur Dekonstruktion des überirdischen Führungsanspruchs von Frauen. Drittens entstand im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts eine Konkurrenzsituation zwischen religiöser und säkularer Presse in der zweckgebundenen Vermarktung progressiver religiöser Frauen.