Die Macht der Computer. Zukunftsentwürfe einer ‚digitalen Gesellschaft‘ in Europa, Afrika und Lateinamerika (1960er–1990er Jahre)
Digitale Technologien haben unsere Welt seit Mitte des 20. Jahrhunderts nachhaltig verändert. Von Beginn an sahen Menschen den Computer als eine mächtige Maschine an, die eine gesellschaftsverändernde, revolutionäre Kraft entfalten konnte. Wenn zu den Zukunftsvisionen einer digital vernetzten Gesellschaft das Versprechen von ungeahnten Möglichkeiten der Partizipation gehörte, so offenbarte sich gleichzeitig schnell, dass durch Computerisierungsprozesse Hierarchien entstanden, die politische und gesellschaftliche Ungleichheiten reproduzierten oder verschärften. Die Sektion wird der Frage nachgehen, welche Akteure auf welche Weise die gesellschaftsverändernde, zukunftsgestaltende Macht von Computertechnik wahrnahmen und/oder nutzten – und mit welchen Folgen. Vorgesehen sind ein einführender Teil von zehn Minuten, drei Vorträge zu je 20 Minuten sowie eine Abschlussdiskussion (20 Minuten).
Anhand ausgewählter Beispiele aus Europa, Afrika und Lateinamerika wird die Sektion in vergleichender Perspektive den Mechanismen von Machtausübung und Zukunftsgestaltung durch Computertechnik in Politik, Wirtschaft und (Alltags-)Kultur seit den 1960er Jahren nachspüren. Die Beiträge konturieren dazu Machtverhältnisse als komplexe Beziehungsgefüge, die sich in Praktiken sozialer Hierarchisierung und in Formen digitaler Ordnungspolitik widerspiegeln. Der Computer konnte in einem bestimmten Gefüge – abhängig von finanziellen, personellen und technischen Voraussetzungen – jeweils Macht neu verteilen. Die Beiträge machen insbesondere Spannungen um digitale Kompetenzen und Ressourcen zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden und Genderdynamiken sichtbar.
Aus medien-, kultur- und politikhistorischer Perspektive wird der Computer in der Sektion als gesellschaftliche Ordnungsmaschine diskutiert, die ethnische, klassen- und geschlechterbezogene Machtverhältnisse veränderte und damit in der Vergangenheit für bestimmte Gruppen bestimmte Zukünfte eröffnete und andere verhinderte.
Die Verbreitung des Personal Computer in den 1980er Jahren fiel in Lateinamerika mit der Zeit der Schuldenkrisen zusammen. Über den Computer wurden Zukünfte neu verhandelt: die Zukunft einer unabhängigen Technikentwicklung, die Zukunft von Arbeitsverhältnissen und Bildung sowie die Zukunft von Kommunikation. Der Vortrag analysiert, wie sich lateinamerikanische Akteure vor dem Hintergrund technischen und wirtschaftlichen Wandels neu positionierten. Ein Schwerpunkt liegt auf visuellen Darstellungen, in denen Computer als Chance bzw. Bedrohung für die lateinamerikanischen Gesellschaften erschienen.
In den 1990er Jahren waren die meisten Nutzer:innen des World Wide Web Männer. Dennoch entwickelten sich früh auch Webseiten von Frauen für Frauen, die verschiedene Visionen von Feminismus und Emanzipation online präsentierten. Im Beitrag werden exemplarisch zwei Ende der 1990er Jahre populäre deutschsprachige Homepages vorgestellt: die „Hausfrauenseiten“ und die „Emanzenhomepage“. Mit der Präsenz von Frauen im World Wide Web kam es auch zu geschlechtsspezifischer digitaler Gewalt. Der Vortrag analysiert die Rahmenbedingungen weiblicher Präsenz im frühen WWW und damit verknüpfte Fragen von Macht, Gewalt und Gender.
Der Beitrag analysiert Dynamiken der frühen Digitalisierung in Nigeria und nimmt hierfür die Geschichte des „IBM African Education Centre“ in Ibadan in den 1960er Jahren in den Blick. Die Kooperation zwischen dem US-amerikanischen Computerhersteller und der University of Ibadan wird dabei vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, der Dekolonialisierung und des Spannungsverhältnisses zwischen Globalem Norden und Süden betrachtet. Der Computer avancierte für nigerianische Akteure zu einem zentralen Symbol der kürzlich gewonnenen politischen Unabhängigkeit und spielte eine wichtige Rolle für Entwicklungspläne und somit für Zukunftsgestaltung. IBM hingegen verfolgte in Nigeria globale Firmeninteressen.