Demokratisierung des Privaten? Recht, Macht und Familienbeziehungen im Wandel
Die von der ERC-Forschergruppe „Democratising the Family? Gender Equality, Parental Rights and Child Welfare in Contemporary Global History” veranstaltete Sektion diskutiert den Wandel inner- und post-familiärer Geschlechter- und Generationenbeziehungen im 20. und 21. Jahrhundert Sie tut dies in Form einer interdisziplinären Podiums- (60 Minuten) und Publikumsdiskussion (30 Minuten) zwischen Global- und Sozialgeschichte und historischer Rechtwissenschaft. Leitfragen sind, wie familienrechtliche Neuregelungen mit Erfahrungen von Machtverlust und Ermächtigung einhergingen, welche neuen politischen Konflikte sich daraus ergeben und wie staatliche und internationale Instanzen auf diese neuen Konflikte reagieren.
Mit der internationalen Deklaration der Rechte des Kindes (1924) und der Verankerung der Gleichberechtigung der Geschlechter in vielen Nachkriegs- und postkolonialen Verfassungen wurden die Weichen für eine formale Enthierarchisierung familiärer Beziehungen gestellt. Ein Bericht der UN-Kommission zum „Status der Frau“ kommentierte 1967, dass die Ungleichbehandlung der Geschlechter im Familienrecht nicht mit der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung vereinbar sei. Gegen erhebliche politische Widerstände verloren „Familienväter“ ihre Vormachtstellung gegenüber ihren Ehefrauen, an die Stelle „elterlicher Gewalt“ trat das Recht auf Teilhabe an der Erziehung und Betreuung der Kinder. Mit der Aufwertung des Kindewohls zum zentralen Entscheidungskriterium in Sorgerechtsstreitigkeiten entwickelten sich neue staatliche und nicht-staatliche Regelungen und Mediationsinstanzen zur Schlichtung elterlicher Konflikte. Seit den 1980er Jahren wurden Elternrechte (die Rechte geschiedener Eltern gegenüber dem gemeinsamen Kind, die Rechte der Eltern gegenüber dem Staat) zum Gegenstand politischer Mobilisierungen. Vor diesem Hintergrund wird diskutiert, welche neuen privaten und politischen Machtdynamiken sich im Zuge des Wandels von Intim-, Sorge- und Reproduktionsbeziehungen beobachten lassen.
Ausgangspunkt des Beitrags ist die internationale Karriere des gemeinsamen Sorgerechts seit den 1970er Jahren. Er diskutiert die Adaption britischer und US-amerikanischer familienrechtlicher Modelle in außereuropäischen Kontexten. Im Zentrum steht die politische Mobilisierung des Scheidungs- und Sorgerechts für geschlechterpolitische Auseinandersetzungen und konservativ-nativistische Identitätsdiskurse. Der Beitrag zeigt am Beispiel Indiens, wie antidemokratische Bewegungen sich gegen gesellschaftliche Liberalisierungstendenzen wenden, gleichzeitig jedoch mit liberalen Konzepten von Gleichberechtigung und Nicht-Diskriminierung im Familienrecht operieren.
Unter dem Einfluss des Grundgesetzes wurden Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts seit 1949 abgebaut; geschlechtsneutrale Normen dominieren das Recht. Kinderrechte wurden gestärkt und das ‚Kindeswohl‘ zu einem zentralen Rechtsbegriff. Doch Machtverhältnisse sind Generationenbeziehungen inhärent, und die ungleiche Verteilung der Care-Arbeit und ihre unzureichende Anerkennung im Recht beeinflussen Machtverhältnisse in Geschlechterbeziehungen. Nicht alle Familienformen sind im Recht gleichermaßen anerkannt. Nicht zu vergessen ist die Einflussnahme durch den Staat im Kinder- und Jugendhilferecht zwischen staatlichem Erziehungsrecht, Förderung von Familien und Kindern, sozialer Kontrolle und Eingriff zum Schutz des Kindeswohls – komplizierte Dreiecksbeziehungen.
Die Entwicklung des Familienrechts seit den 1950er Jahren ist ein Triumph der Emanzipation. Dieser Beitrag betont jedoch die Mehrdeutigkeit dieser Entwicklung. Mit der Gleichstellung der Ehegatten und dem Abbau der Monopolposition der Ehe gehen neue wirtschaftliche Risiken einher. Die Gleichstellung von Mann und Frau als Eltern geht zusammen mit einer Machtverschiebung von den Eltern hin zum Staat. Die Gleichstellung aller Kinder geht Hand in Hand mit einer Biologisierung der Elternschaft, die in einem Spannungsverhältnis zur Sorgefunktion der Elternschaft steht. Der Beitrag beschreibt solche „Widersprüche“ der Rechtsentwicklung und diskutiert mögliche Erklärungen.