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Vortragstitel:
Demokratie – democracy
Tag:
01.10.2010
Epoche:
Neuere/Neueste Geschichte
Sektion:
Grenzverschiebungen. Historische Semantik der 1960er und 1970er Jahre

Abstract:

Demokratie – democracy

Referent/in: Holger Nehring, Sheffield


Abstract

Mit „Demokratie“ nimmt dieser Beitrag den fundamentalen Wandel einer zentralen Kategorie politischer Ordnung in Großbritannien und der Bundesrepublik in den Blick. Der Begriff soll nicht essentialistisch definiert und auf eine bestimmte Institutionen- und Gesellschaftsordnung enggeführt werden; statt dessen soll es hier darum gehen, stichprobenartig politisch diskutierte Konzepte von „Demokratie“ zu historisieren und zu zeigen, wie „Demokratie“ nicht mehr als gegebene Größe, sondern als Problem konzeptionalisiert wurde, sich also die Grenzen des Sagbaren massiv ausweiteten, zugleich aber auch zunehmend umkämpft wurden. 

In beiden Ländern kam es zu einer Diversifizierung von Demokratievorstellungen, welche von Konzepten zentraler Planung über kommunitaristische Modelle bis hin zu sog. „Graswurzel“-Initiativen reichten und dabei die eng gezogenen Grenzen des auf Parlamenten, Wahlen und der Bedeutung von Verwaltung beruhenden „European model of democracy“ (Martin Conway) der ersten beiden Nachkriegsdekaden zunehmend aufweichten. Gerade durch das Überschreiten der Grenzen und die Debatten über Grenzziehungen wurden allerdings die ursprünglichen Grenzen des Politischen umso deutlicher sichtbar und umso schärfer gezogen: zwar änderten sich die politischen Semantiken, nicht aber die Strukturen, auf die sie sich bezogen. Die Debatten verwiesen dabei mehr oder weniger explizit auf den sich verändernden Aggregatzustand des Kalten Krieges im Zeichen von Entspannungspolitik. 

In beiden Ländern war dabei die Interpretation von „Totalitarismus“ auf jeweils ganz eigene Art und Weise der Hintergrund für diese Diskussionen, verband sie doch den Erfahrungsraum von Nationalsozialismus und Krieg mit dem Erwartungshorizont einer als zunehmend unsicher verstandenen Gegenwart. Abschließend wird dieser Beitrag einige Thesen darüber entwickeln, wie methodische Ansätze zur historischen Erforschung politischer Semantiken und von Sprachen des Politischen (wie etwa die Ansätze von Reinhart Kosellecks und Quentin Skinners) selbst direkt aus dieser Konstellation hervorgingen und als Beiträge in der Debatte um „Demokratie“ in beiden Ländern zu verstehen sind.