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Vortragstitel:
Infrastrukturen in der Sowjetunion
Tag:
01.10.2010
Epoche:
Neuere/Neueste Geschichte
Sektion:
Infrastrukturen der Macht

Abstract:

Infrastrukturen in der Sowjetunion: Integrationsmechanismen, Grenzüber­schreitungen und Ohnmachtserfahrungen

Referent/in: Klaus Gestwa, Tübingen


Abstract

Der sowjetische Parteistaat nutzte den Auf- und Ausbau von Infrastrukturen, um Regime und Gesellschaft miteinander zu vernetzen. Allerdings blieben viele und vieles von den neu geschaffenen Infrastrukturen ausgeschlossen, so dass es zu vielfältigen Ohnmachtserfahrungen kam. In der Spätzeit der Sowjetunion fuhren viele Infrastrukturen auf Verschleiß, weil den Verantwortlichen oftmals die notwendigen Mittel für ihre Instandhaltung fehlten. Die Sowjetunion entwickelte sich daher vielerorts zu einer verwahrlosten Moderne. Katastrophen und Unglücke häuften sich in der Perestrojka-Zeit und erfuhren mittels der damals praktizierten Glasnost‘ mediale Verbreitung. Viele Sowjetbürger fühlten sich durch eine Entsicherung vieler Lebensbereiche zunehmend bedroht; der Parteistaat verlor seine Legitimität. Ähnlich wie in Westeuropa kam es auch im Ostblock nach 1945 zu grenzüberschreitenden Kooperationen und großen Gemeinschaftsprojekten. Sie galten als wichtige Schritte, um die „sozialistische Staatengemeinschaft“ zu einem ökonomisch-politischen Großraum zu integrieren. Der „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe“ konnte zwar niemals das Wachstums-, Integrations- und Emanzipationspotential der sich rasant entwickelnden westeuropäischen Wirtschafts- und Wertegemeinschaft entfalten. Dennoch nutzten die realsozialistischen Partei- und Staatsführer gezielt grenzüberschreitende Infrastrukturprojekte, um Verflechtungen herzustellen und die internationalen Interaktionen zu stärken. Im Rückblick von 1989 aus mögen diese Vereinigungsbemühungen als gescheitert und ohne nachhaltige Überzeugungskraft erscheinen. Wer sich aber näher auf die gesellschaftlichen Konstellationen und mentalen Dispositionen jener vier Jahrzehnte einlässt, in denen der Ostblock als Kommunikations- und Kulturraum existierte, wird erkennen, dass sich die Imaginationen und Praktiken der „sozialistischen Gemeinschaft“ durchaus in die Vorstellungs- und Lebenswelt der Menschen eingeschrieben haben.