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Vortragstitel:
Multireligiosität im höfischen Leben. Barrieren und Grenzen?
Tag:
01.10.2010
Epoche:
Geschichte des Mittelalters
Sektion:
Passagen über Grenzen

Abstract:

Multireligiosität im höfischen Leben. Barrieren und Grenzen?

Referent/in: Jenny Rahel Oesterle, Bochum


Abstract

Jüdische Ärzte und Beamte, koptische Kalifenfrauen, sunnitische Militäreliten: Am schiitisch-ismailitischen Fatimidenhof in Kairo (969–1171) lebten und wirkten wie an vielen mediterranen Höfen Angehörige unterschiedlicher Religionen und Glaubensrichtungen in vielfältigen Funktionen. Zwei Aspekte unterscheiden die Bedingungen multireligiösen Zusammenlebens am Kairoer Kalifenhof jedoch von denen an anderen Höfen im Mittelmeerraum des 10.–12. Jahrhunderts: Einerseits herrschten die Kalifen von Kairo als schiitisch-ismailitische Minderheit über eine mehrheitlich christlich, jüdisch und sunnitische Bevölkerung. Die Akzeptanz und Legitimation ihrer Herrschaft war von Anfang an mit der Notwendigkeit verbunden, die religiöse Mehrheit ihres Reiches, d.h. Christen, Juden und sunnitische Muslime in die Herrschaft einzubinden; dies galt insbesondere für die Eliten der anderen Religionen und Glaubensrichtungen im höfischen Umfeld. Andererseits aber proklamierten die Fatimiden von Anfang die politische und religiöse Opposition zum sunnitischen Bagdader Kalifat, dessen Sturz auf ihrer Agenda stand. Die Fatimiden verstanden sich nicht allein als die rechtmäßigen Nachfolger des Propheten Muhammad, sondern als Imame in der Stellvertretung des nahenden Endzeitherrschers. Die Kalifen und ihr Palast hatten für die schiitischen Ismailiten eine besondere religiöse Valenz inne: der Imam-Kalif galt als unfehlbar und heilig, seine Erscheinung wurde von den Gläubigen in Lichtmetaphorik gefasst, sein Körper, ja selbst die Mauern seines Palastes strömten Segen aus, der jedoch nur den Ismailiten, nicht Christen, Juden und Sunniten zuteil wurde.

Der Vortrag wird „Passagen“ der interreligiösen Begegnung und Konfliktdispositionen multireligiösen Zusammenlebens am Hof der Kalifen von Kairo unter diesen spezifischen Bedingungen analysieren und dabei vor allem interreligiöse Dialoge und die Rolle von Konvertiten im höfischen Umfeld in den Blick nehmen sowie die Inszenierung und interreligiöse Wahrnehmung des schiitischen Imam-Kalifen in der Herrschaftsrepräsentation.