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Vortragstitel:
Bilder der Gewalt – Annäherung an eine historische Interpretation medialer Gewalt
Tag:
01.10.2010
Epoche:
Alte Geschichte
Sektion:
Grenzen der Gewalt

Abstract:

Bilder der Gewalt – Annäherung an eine historische Interpretation medialer Gewalt

Referent/in: Susanne Muth, Berlin


Abstract

Darstellungen extremer Gewalt nehmen in der Bilderwelt des archaischen und klassischen Athens, vor allem im Horizont der bemalten Luxuskeramik, einen vergleichsweise hohen Stellenwert ein. Um so aussagekräftiger erscheinen diese Darstellungen als historische Zeugnisse für den Gewaltdiskurs der attischen Gesellschaft – und entsprechend werden sie in der aktuellen archäologischen Forschung auch als Spiegel für die Einstellungen der Athener zu den Phänomenen der Gewalt befragt: Was verraten die drastischen Bilder extremer Gewalt über den Umgang mit den Gewaltpotentialen und Gewalterfahrungen, was die Unterschiede in der Gewaltikonographie über die Bewertungen verschiedener Arten von Gewaltausübung, was die Vorlieben hinsichtlich expliziter oder impliziter Gewalt über die Bemühungen der Einhegung von Gewalt, und was schließlich das Konfrontieren mit solchen Bildern der Gewalt eventuell auch über mögliche Praktiken einer Kompensation belastender Erfahrungen oder auch umgekehrt einer gesuchten Stimulierung von Aggressionspotentialen?
Die archäologische Forschung hat zunächst derartige Bildbefunde zuversichtlich auf die Beantwortung solcher Fragen diskutiert – als unmittelbare Zeugnisse eines Diskurses um legitime und illegitime Gewalt, als Zeugnisse für die Praktiken der Einhegung von Gewalt, als Zeugnisse eines Wandels in der Einstellung zur Gewalt etc. Doch zeigt sich mehr und mehr, dass beim methodischen Zugriff auf diese Bildbefunde zwei Aspekte stärker berücksichtigt werden müssen: einerseits die bemerkenswerte Fremdartigkeit, mit der die Gewaltikonographie in den attischen Bildern strukturell funktioniert und die sehr wenig mit dem strukturellen Funktionieren der Gewaltbilder unserer heutigen Bilderkultur gemein hat (aus deren Perspektive meist unbewusst wiederum die antiken Bilder befragt und interpretiert werden); und andererseits die besondere Bedeutung der medialen Dimension, die das Verhandeln von Gewalt und Gewalttätigkeit im Horizont der visuellen Kommunikation nachhaltig determiniert – und ikonographische Konzepte jenseits der Vermittlung der inhaltlichen Vorstellung bedingt.
Berücksichtigt man diese beiden Aspekte bei der Analyse der attischen Gewaltbilder, so offenbaren sich die Bilder in einer teils überraschenden Andersartigkeit als Zeugnisse eines Gewaltdiskurses: Auf mancherlei Fragen wie etwa die nach den konstitutiven Kriterien zur Definition von legitimer und illegitimer Gewalt oder auch deren jeweiliger inhaltlicher Bewertung geben sie bezeichnenderweise keine Antwort, ja noch mehr: Sie zeigen, dass an einer solchen bewertenden Thematisierung (ganz anders als in unserer heutigen Kultur) kein Interesse bestand, zumindest nicht in denjenigen Lebenskontexten, in denen die bemalten Luxusgefäße Verwendung fanden. Entsprechend dokumentieren diachrone Veränderungen in der Darstellung von Gewalt auch keinen spezifischen Wandel im Umgang der Athener mit realer Gewalt bzw. den zu verarbeitenden Gewalterfahrungen (Stichwort: Problematisierung, Kompensation, Beschwörung); vielmehr sind diese Veränderungen grundlegenden Verschiebungen in anderen thematischen Diskursen (insbesondere denen um Sieg, Überlegenheit und Macht) geschuldet, in welchen Gewalt mehr als mediales Bildmotiv denn als inhaltliches Bildthema instrumentalisiert wird. All diese negativen Befunde in Reaktion auf unsere, durch unseren heutigen Umgang mit Gewalt determinierten Erwartungshaltungen haben freilich eine klare Kehrseite: Denn das so andersartige wertungsoffene Funktionieren der attischen Gewaltikonographie – gegenüber der stark polarisierenden Ikonographie unserer heutigen Gewaltbilder – verweist seinerseits auf eine weitgehend offene Einstellung der Athener gegenüber den Phänomenen der Gewalt, und somit auf einen dahinter stehenden Diskurs um Gewalt, der bezeichnenderweise (zumindest in bestimmten Lebenskontexten und mentalen Situationen) einen solchen flexiblen Umgang mit den Bewertungen und den Einstellungen gegenüber der Gewalt praktizieren ließ.