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Vortragstitel:
Heilige Kriege? Heilige Kriege im alten Israel, Kreuzzugsgedanke in Mittelalter und Gegenwart
Tag:
29.09.2010
Epoche:
Geschichtsdidaktik
Sektion:
Kulturen im Konflikt? Zur Begegnung von Orient und Okzident

Abstract:

Heilige Kriege? Heilige Kriege im alten Israel, Kreuzzugsgedanke in Mittelalter und Gegenwart, Wandel des Dschihad

Referent/in: Gisbert Gemein, Neuss


Abstract

„Jahwe ist ein gewaltiger Held, ein Kriegsheld“ (Ps 24,8). Aus diesem und ähnlichen Zitaten zog Gerhard von Rad den Begriff des Heiligen Krieges im alten Israel.  Die damalige Begeisterung über diese These ist inzwischen einer nüchternen Betrachtung gewichen: Die von Rad als spezifisch altisraeliktisch behaupteten  Elemente der Kriegsführung lassen sich auch in anderen altorientalischen Kriegsüberlieferungen nachweisen. Die Vorstellung, dass Götter überr Sieg und Niederlage entscheiden, ist  geradezu ein Topos für die gesamte Antike. Doch die Makkabäerkriege bringen eine neue Qualität hinsichtlich des Begriffes „heiliger Krieg“, weil sie aus der wahrscheinlich ersten Rel.igionsverfolgung hervorgingen. Neu ist hier die systematische Religionsverfolgung, weil diese vom Grundsatz her in einer polytheistischen Welt her nicht denkbar ist, die sich eher durch Toleranz auszeichnet. Die Heftigkeit und Unbarmherzigkeit dieser Auseinandersetzung bieten ebenso wie die Reaktion der Betroffenen eine neue Qualität. Es ging nicht nur um die Integration der Juden in die hellenistische Welt, es ging in letzter Konsequenz um deren Identität als einziger Gesellschaft mit einem monotheistischen Glauben.

Eine vergleichbare Ausgangslage bot auch der Aufstand unter Bar Kochba als Reaktion auf die Helleninsierungspolitik Hadrians, mehr als der Große Aufstand von 66-70 n.Chr., der auch andere Ursachen hatte. Religion ist Hauptursache, nicht nur Anlass, zusätzlicher Faktor oder Vorwand eines Konflikts. Dieses Phänomen scheint mit dem Monotheismus verbunden, denn es ist später nicht nur im Judentum zu finden, sondern auch im Islam und Christentum.

Das Christentum versteht sich als Friedensreligion, die nicht nur den Nächsten, sondern sogar den Feind zu lieben fordert. Dies stellt den Staatsbürger, der sein Land verteidigen soll, vor grundsätzliche Entscheidungen. Für die frühchrsitlichen Kirchenväter war die Antwort eindeutig: Krieg war Massenmord. Doch nach Konstantin stellte sich die Frage neu. Im Gegensatz zur Ostkirche, die durchgängig eine rigorosere, ablehnendere Haltung einnahm, hatte in der Westkirche Augustinus eingeräumt, dass unter bestimmten Umständen auf Befehl Gottes Kriege geführt werden können. Den nach der Völkerwanderungszeit im Westen entstandenen aristokratischen Militärgesellschaften bot dies die Möglichkeit, ihrem „gewohnten Zeitvertreib“ (Runciman) nachzugehen.

Als Papst Urban II. 1095 zum Kreuzzug aufrief, war dies der Auftakt einer neuen Epoche, deren Definition wie auch zeitliche Begrenzung bis heute strittig ist. Für den 1. Kreuzzug hat sich heute der Begriff „bewaffnete Pilgerschaft“ eingebürgert. Er beschreibt aber bestenfalls die Hauptintentionen der Mehrheit seiner Teilnehmer, wird deren Komplexität und Vielfältigkeit aber kaum gerecht. Einer frühere Geschichtsschreibung hat die religiöse Begeisterung hervorgehoben, ein „Heldenlied der Kreuzzüge“ (Grousset) gezeichnet, eine jüngere die materiellen Interessen hervorgehoben. Schon im Mittelalter wandelt sich der Kreuzzugsbegriff. Unter Kreuzzug werden nicht nur Unternehmen in den Nahen Osten verstanden, sondern ebenso die Reconquista in Spanien oder die Unterwerfung der Pruzzen durch den Deutschen Orden. Kreuzzüge richten sich gegen ketzerische Albigenser wie gegen christliche Stedinger Bauern, die sich dem Feudalisierungsprozeß nicht unterwerfen wollen. Der Kreuzug von 1204 gegen Konstantinopel hat eindeutig poltische Motive, persönlich-weltliche darf man dem Kreuzzug von Papst Bonifaz VIII. vom November 1297 gegen zwei seiner Kardinäle unterstellen, bei dem es um einen Streit über den Kauf von Grundstücken ging.

Schon im Mittelalter wandelt sich das Bild des 1. Kreuzzuges zum Mythos. Dies steht im Gegensatz zu einer heutigen Vorstellung, die in den Kreuzzügen brutale und ausbeuterische Kriege gegen einen kulturell überlegenen Gegner sehen. Diese Bewertung hat eine Vorgeschichte, geht auf eine Auffassung zur Zeit der Aufklärung, als sich Voltaire und Hume ablehnend äußerten, die Historiker Gibbon und Robertson ein eher negatives Urteil fällten . Dagegen sind die Äußerungen des 19. Jhd eher verklärend (Chateaubriand, Mark Twain, Disraeli, die Adaption von Torquato Tasso). Eine politische Instrumentalisierung des Kreuzzugsgedankens erfolgte, als in England und Frankreich als Verbündete einer muslimischen Macht, des Osmanischen Reiches, der Krimkrieg als eine Art Kreuzzug zur Rettung der heiligen Stätten dargestellt wurde.   

Diese politische Instrumentalisierung reicht weit ins 20. Jhd. (englischer Dardanellenfeldzug, Francos „Kreuzzug der Befreiung“, Hitler mit dem „Unternehmen Barbarossa“, Eisenhower mit seinem „Crusade to Europe“). Kennzeichnend für den modernen Kreuzzugsbegriff ist der Verlust an Religiosität mit einer teilweisen Überbetonung des Militärischen bzw. ritterlicher Eigenschaften wie dem Opfersinn für übergeordnete Ziele. Dieser säkularisierte Kreuzzugsbegriff kann daher von unterschiedlichen Weltanschauungen wie Demokratie und Faschismus, selbst vom Maoismus genutzt werden.

Seit der Nachkriegszeit ist ein deutlich verändertes Kreuzzugsbild zu verzeichnen. Heute kommt der Begriff in durchaus friedlichem Gewande daher (als „Kampf gegen Hunger und Armut auf der Welt“) oder hat in der Alltagssprache seine ursprüngliche Bedeutung fast ganz verloren.

Deutlich stärker wirkt die ursprünglich Kreuzzugsidee allerdings im islamischen Raum, in dem die christliche Besetzung Palästinas tiefe Spuren hinterlassen hat. Schon Abdülhamit II. (1876-1909) hatte die Politik der europäischen Mächte als „neue Kreuzzüge“ gekennzeichnet. Durchgängig wird bis heute Saladin als erfolgreicher Kämpfer gegen den Westen dargestellt, in der Regel mit der Aufforderung, es ihm gleich zu tun, wobei wider alle historische Logik Israel als Nachfahre der christlichen Kreuzzfahrerstaaten bezeichnet wird. Auffällig ist, dass der Kreuzzugsbegriff heute im politischen Bereich hauptsächlich von fundamentalistischer Seite benutzt wird. Dies gilt sowohl für die islamistische Seite, die die Haltung des Westens generell als Kreuzzüglertum diffamiert wie auch z.B. für Aktivitäten der rechtsradikalen Militia in  einzelnen Staaten der USA.

Einen nicht so weiten Bedeutungswandel hat der Dschihad-Begriff in der Geschichte gemacht. Er hatte allerdings von Anfang an ein Doppelgesicht, schon im Koran, wo er im friedlichen wie im kriegerischen Sinne einherkommt. Das Wort bedeutet im Arabischen „Anstrengung, Mühe (für die Sache Gottes)“, die im Westen übliche Übersetzung mit „heiliger Krieg“ ist daher philololgisch falsch und kann den Dialog mit Muslimen stören, die ihre Religion ebenfalls als eine Friedensreligion ansehen, allerdings Krieg als eine gegebene Sache ansehen, die aber bestimmten Regeln  unterworfen sein muss. Schon seit der Frühzeit wird zwischen einem „Großen Dschihad“, der zur Überwindung der eigenen schlechten Eigenschaften gekämpft wird, und einem“Kleinen Dschihad“ , der auch als ein bewaffneter Heidenkampf oder zur Verteidigung der muslimischen Glaubensgemeinschaft ausgefochten werden  kann, unterschieden. Wenn heutige NRW-Richtlinien für das Fach „Islamische Unterweisung“ für 4. Grundschulklassen  den Dschihad fordern, meinen sie selbstverständlich den Großen, ähnlich wie die syrischen Religionsbücher in ihm „Arbeitseifer“ verlangen oder Smail Balic „Dschihad als Einsatz für Frieden und Fortschritt“  definiert. Wenn in solchen Erklärungen der „Kleine Dschihad“ gar nicht mehr vorkommt, wird dies der historischen Realität nicht gerecht.

Denn eine politische Instrumentalisierung für kriegerische Auseinandersetzungen hat es immer gegeben, schon zu Zeiten des Propheten in seiner medinensischen Zeit, später im bewaffneten „Heidenkampf“ (nicht gegen Angehörige der „Buchreligionen“), dann seit der Kreuzzzugszeit auch gegen Christen, bald auch gegen muslimische Konkurrenten. Dschihad ist also ein schillernder Begriff. Auch wenn er seit dem Mittelalter mit dem Kreuzzugsbegriff in einem Interdependenzverhältnis steht, wurde er nie wie dieser als ein „proelium sanctum“ verstanden, als ein „heiliger Krieg“, zu dem der Papst wenn auch nicht faktisch, so doch rechtlich bindend aufrufen konnte, während im Dschihad immer die Entscheidung des Einzelnen im Vordergrund stand. Erst auf der Islamischen Gipfelkonferenz von Taif 1981 wird erstmals die Adjektivverbindung „heiliger Dschihad“ benutzt.

Für die klassische muslimische Theologie gehört der Dschihad nicht zum Kernbereich des Glaubens, der durch die 5 Pfeiler gekennzeichnet wird. Was für die übergroße Mehrheit der Muslime, die den Großen Dschihad kämpft, gilt, gilt allerdings nicht für den Islamismus, keine religiöse, sondern eine religiös begründete politische Bewegung, die eine Umkehrung der bisherigen Theologie verursachte. Der indo-pakistanische Denker Maududi sprach vom Dschihad als „vernachlässigter Pflicht“, notwendig als Vorbereitung zur Erfüllung der 5 Pfeiler des Islam. Während bei Maududi Dschihad in bewaffneter wie unbedwaffneter Form durchgeführt werden kann, so dass auch Alte oder Frauern an ihm teilhaben können, ist bei dem Ägypter Qutb eine Militarisierung zu verzeichnen. Beiden gemeinsam ist eine Umkehrung der bisherigen Theologie. Es ist daher nur ein kleiner Schritt zu den modernen Dschihadisten, die den  Dschihad nur als einzige Lebensform gelten lassen.

Während man Maududi und Qutb, für die schiitische Seite Khomeini, noch im weitesten Sinne im Rahmen der traditionellen islamischen Theologie ansehen mag, verläßt diese mit einer regelrechten Umdeutung des Dchihad-Begriffes Omar Abder Rahman (verantwortlich für den ersten Anschlag auf das World Trade Center 1993) in seiner Dissertation, als er die Unterscheidung von Großem und Kleinem Dschihad als verwerfliche Erfindung unter dem Einfluß der Kolonialmächte ablehnte und den Dschihad als militante Aktion lehrte, alle Ungläubigen zur Übernahme des Islam oder zumindest zur Unterwerfung zu bewegen. Diese Ideen wurden nicht nur in der islamistischen Bewegung in Palästina (etwa im „Islamischen Dschihad“) aufgriffen, sie wurden auch weiter ausdifferenziert. Der im arabischen Sender al-Dschazira häufig auftretende „Fertnsehscheich“ al-Qaradawi, ein ägyptischer Muslimbruder, der seine Heimat, nicht mehr betreten darf, rechtfertigt Selbstmordanschläge als höchste Form des Dschihads. 1998 kündigte Bin Laden die Bildung einer Internationalen Islamische Front für einen Dschihad gegen Juden und Kreuzfahrer an. Der Dschihad ist normalerweise an ein bestimmtes Land oder Territorium gebunden. Bin Laden und die anderen Unterzeichner entterritorialisieren den Begriff und weiten ihn auf das gesamte Universum aus, ein klarer Bruch mit der Tradition, für die allerdings Khomeini mit seiner Fatwa gegen Salman Rusdie als Vorbild gelten kann.

Man wird den modernen Dschihadismus eher mit Terrorismus als einer religiösen Bewegung gleichsetzen. Seine theologischen Begründungen haben ihn weit von der klassischen islamischen Theologike entfernt. Die geistige Vaterschaft Qutbs ist weiterhin wirksam, wenn auch in verflachter Form. Die Grenzen zum Banditentum sind fließend. Es geht nicht mehr um die Durchsetzung einer religiösen Idee, es geht um den terroristischen Kampf  gegen die nicht-islamische Welt, es geht um eine kampfbetonte Lebensform, die im Selbstmordattentat die höchste Form der Vollendung des Menschseins sieht.