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Vortragstitel:
Das dämonische Antlitz des Nationalismus: Robert Weltschs Deutung des Zionismus angesichts des Natio
Tag:
29.09.2010
Epoche:
Neuere/Neueste Geschichte
Sektion:
Nationalismus, Internationalismus und Transnationalismus im deutschsprachigen Zionismus

Abstract:

Das dämonische Antlitz des Nationalismus: Robert Weltschs Deutung des Zionismus angesichts des Nationalismus

Referent/in: Christian Wiese, Falmer/Frankfurt/M.


Abstract

Am 19 Mai 1939 beschrieb der zionistische Journalist, Intellektuelle und Politiker Robert Weltsch die nationalsozialistische Judenverfolgung in der Jüdischen Welt-Rundschau in Jerusalem als „den ersten Schritt hin zum Nihilismus“ und charakterisierte die rassistische Form des deutschen Nationalismus als zerstörerische, dämonische Kraft dar, die letztlich nicht allein das jüdische Volk, sondern die Menschheit überhaupt bedrohe. Angesehen von der Notwendigkeit, die mörderischen Konsequenzen der Nazi-Politik zu überleben, betonte er, laute die wichtigste Frage, ob die Juden imstande seien, „die geistigen Werte, die die Grundlage ihrer Existenz bilden, gegen die wachsende Flut des Nihilismus zu verteidigen“ und der Nazi-Ideologie eine humanistische jüdische Version des Nationalismus auf der Grundlage der Gerechtigkeit und des Zusammenlebens mit anderen Völkern entgegenzusetzen. Diese Aussage eines Zionisten, der erst kurz vor dem Novemberpogrom 1938 aus Deutschland entkommen war, ist kennzeichnend für eine – von deutschsprachigen jüdischen Intellektuellen geprägte – spezifische Strömung innerhalb des Zionismus vor der Errichtung des Staates Israel, die eine friedliche Koexistenz zwischen Arabern und Juden in Palästina anstrebten. Im „postzionistischen“ Diskurs gelten die Mitglieder dieser Gruppe als die „Anderen“ innerhalb der zionistischen Bewegung, die den Traum einer „nicht-nationalistischen“ Form des Nationalismus hegten, der nicht auf nationaler Macht beruhte, sondern der Erfahrung von Chauvinismus, Krieg und Völkermord in Europa mit einem „ethischen“ Konzept des Nationalismus zu begegnen. Als Repräsentant eines „melancholischen Gegennarrativs“ innerhalb des Zionismus (Jacqueline Rose), zog Weltsch, der 1933 mit seinem Artikel „Tragt ihn mit Stolz, den gelben Stern“ zur Stimme des deutschen Judentums geworden war, einen engen Zusammenhang zwischen den Ereignissen in Europa und jenen in Palästina und versuchte, der Bedrohung durch den Nationalsozialismus zu widerstehen und gleichzeitig den Zionismus vor der Versuchung zu warnen, bei der Bemühung um die Rettung der europäischen Juden die eigenen ethischen Ideale zu opfern. Der Vortrag beschreibt am Beispiel der ambivalenten Haltung Weltschs gegenüber dem Zionismus eine der zentralen Aporien des „humanistischen Nationalismus“ Buberscher Prägung während der Zeit des Nationalsozialismus: Wie war es möglich, in einer Situation, in der das Leben von Millionen europäischer Juden auf dem Spiel stand, den moralischen Charakter des jüdischen Nationalismus zu bewahren, während sich gleichzeitig im Nahen Osten der tragischer Konflikt zwischen den jüdischen Immigranten und der ansässigen arabischen Bevölkerung verschärfte?