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Vortragstitel:
Messianismus und Weltbürgertum: Hans Kohns Theorien desNationalismus als Versuche der Einhegung und
Tag:
29.09.2010
Epoche:
Neuere/Neueste Geschichte
Sektion:
Nationalismus, Internationalismus und Transnationalismus im deutschsprachigen Zionismus

Abstract:

Messianismus und Weltbürgertum: Hans Kohns Theorien des Nationalismus als Versuche der Einhegung und Aufhebung

Referent/in: Michael Enderlein, Hamburg


Abstract

Die Diskussionen über Ausrichtung und Zielvorstellung eines national-jüdischen Programms wurde im deutschsprachigen Zionismus mit großer Intensität geführt. Mit Nachdruck wurde von vielen Protagonisten darauf verwiesen, dass der eigene Nationalismus nicht einfach dem Muster der europäischen Vorgänger folgen könne und dürfe. Nicht zuletzt die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs trugen richtungweisend zur Ausbildung dieser Position bei; alle chauvinistischen Tendenzen sollten durch eine uneingeschränkte Friedensorientierung unterbunden werden.

Vor dem Hintergrund des Ideengeflechts der jüdischen Jugendbewegung und der „Jüdischen Renaissance“ bemühte sich der aus Prag stammende Historiker Hans Kohn um die Formulierung eines postassimilatorischen Selbstverständnisses, welches Ausdruck im Konzept eines kulturell-ethischen Zionismus fand. Der Weg zur Erneuerung sollte nach „Eretz Israel“ führen und dort einen Fluchtpunkt für Nation und Religion schaffen. Von größerem Gewicht als bloß quantitativer Fortschritte bei der Besiedlung Palästinas waren indes die Reformulierung jüdischer Werte und die Verpflichtung aller national-jüdischen Bestrebungen auf Ausgleich und Verständigung. Rasch gewann die sogenannte „Araberfrage“ an Brisanz. Für Kohn wurde das Aufeinandertreffen zweier sich national legitimierender Ansprüche auf politische Selbstbestimmung und territorialen Besitz gar zum entscheidenden Prüfstein für den Zionismus, würde sich daran doch erweisen, ob der angestrebte emanzipatorische Gegenentwurf zu den europäischen Nationalismen gelingen könne. Rigoros stritt er für ein binationales Gemeinwesen in Palästina, das Zuerkennen von Machtbefugnissen ungeachtet der sich verändernden Relation der Bevölkerungsteile sowie den Verzicht des Zionismus auf eine starre Orientierung an etatistischen Gemeinschaftsvorstellungen.

Mit dem Vortrag soll Kohns politisches Denken in einigen wichtigen Grundzügen rekonstruiert und darüber ein exemplarischer Einblick in den Kontext eines Teils des deutschsprachigen Zionismus ermöglicht werden. Wie wurde hier der Begriff „Nation“ gefasst, welche Nationalismuskonzepte bildeten die Quellen oder den Hintergrund für deren innerzionistische Debatten und welche politisch-kulturellen Deutungsmuster wurden damit aufgerufen? Darüber hinaus wird ein Zugriff auf den Zionismus aufgezeigt und diskutiert, der sich durch ein hohes Maß an Reflexivität und Problembewusstsein auszeichnete und der es ablehnte, das Aufeinanderprallen von jüdischem und arabischem Nationalismus als aporetischen Konflikt hinzunehmen.