Drucken

Vortragstitel:
Das Gruppenexperiment des Frankfurter Instituts für Sozialforschung
Tag:
29.09.2010
Epoche:
Neuere/Neueste Geschichte
Sektion:
Die antidemokratische Mentalität im Blickfeld der kritischen Theorie

Abstract:

Das Gruppenexperiment des Frankfurter Instituts für Sozialforschung - Zur Mentalitätsgeschichte der frühen Bundesrepublik

Referent/in: Stefan Lochner, Weimar - Jena


Abstract

Unmittelbar nach der Rückkehr von Horkheimer, Pollock und Adorno aus dem amerikanischen Exil nach Frankfurt am Main führte das Institut für Sozialforschung als erste großangelegte empirische Untersuchung die in vieler Hinsicht bedeutende Gruppenstudie über die kollektiven Mentalitäten der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft durch. In methodologischer Erweiterung zu den Exilstudien, insbesondere der Authoritarian Personality, und in Abgrenzung zu den standardisierten Einzelbefragungen der herkömmlichen Meinungsforschung wurde äußerst innovativ erstmalig das Gruppendiskussionsverfahren verwendet und im Methodenkanon der Sozialwissenschaften etabliert.

 Die sozialpsychologische Grundidee war, dass die bei kontroversen und affektbesetzten Themengebieten der Studie existierenden psychologischen Widerstände durch das Methoden- und Forschungsdesign überwunden werden und somit die Erforschung von latenten Einstellungen und informellen Gruppenmeinungen möglich wird. Nach dem überaus aufwendigen und langwierigen Erhebungs- und Auswertungsprozess, an denen eine Vielzahl von etablierten Wissenschaftler/innen und Nachwuchsforscher/innen, darunter Ludwig von Friedeburg, Heinz Maus, Hermann Schweppenhäuser, Hertha Herzog, Helmuth Plessner und Gerhard Schmidtchen beteiligt waren, erschien 1955 der Ergebnisbericht der „Gruppenstudie“ unter dem abwägenden Titel Das Gruppenexperiment. 

Ohne Frage ein faszinierendes und kanonisches Dokument der empirischen Sozialforschung, welches äußerst treffend beispielsweise den frappierenden Antisemitismus, den Überhang der NS-Ideologie, die vielfältigen Strategien individueller Vergangenheitsbewältigung mittels Verdrängung, Relativierung und Leugnung oder das antidemokratische Potential der bundesrepublikanischen Bevölkerung aufzeigt. Das Gruppenexperiment ist dennoch nur das Rudiment eines ursprünglich annähernd 5.000 Seiten umfassenden (Mammut-)Kollektivwerks, dessen Brisanz in mancher Hinsicht abgeschwächt wurde. Konzeptionell getrennt wird im Vortrag einerseits die Vorgeschichte, Genese sowie Forschungspraxis der um 1950/51 durchgeführten Gruppenstudie skizziert werden und andererseits Bezug genommen auf die Veröffentlichungsgeschichte des Gruppenexperiments.