Grenzgänge zwischen Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaften. Zur Historischen Semantik einer gesellschaftlichen „Leitwissenschaft“

(01. Oktober 2010 - 9.15 bis 13 Uhr - HS 1.401)

Leitung: PD Dr. Jan-Otmar Hesse, Göttingen / Dr. Roman Köster, München

 


1. Einleitung

Referent/in: PD Dr. Jan-Otmar Hesse, Göttingen / Dr. Roman Köster, München


2. Das Scheitern der Historische Schule an der sozialen Frage

Referent/in: Prof. Dr. Nils Goldschmidt, München


3. Der Diskurs des „Praxisbezugs“ in der deutschen Wirtschaftswissenschaft der 1920er Jahre

Referent/in: Dr. Roman Köster, München


4. From Theory to Practice and Back: Assessing the Influence of the Schmalenbach-Society on German Business, 1920s to 1960s

Referent/in: Prof. Dr. Jeff Fear, Redlands, USA


5. „Alles was falsch und übertrieben ist bei Keynes habe ich viel früher und viel genauer gesagt“ – Zum Verhältnis von geschäftlichem Erfolg und wirtschaftstheoretischem Misserfolg am Beispiel L. Albert Hahns

Referent/in: PD Dr. Jan-Otmar Hesse, Göttingen


6. Crossing Borders in Game Theory: From Politics to Economics and Back

Referent/in: Prof. Dr. Esther-Mirjam Sent, Nijmegen



Abstract 

Die Wirtschaftswissenschaft wird heute wie kaum eine andere wissenschaftliche Disziplin aufgrund ihrer gesellschaftlichen Nützlichkeit beurteilt. Die gesellschaftliche Anerkennung des Faches stand und fiel in Wirtschaftswissenschaft insgesamt, wobei die Frage, wie die Prognose innerhalb der Disziplin angesehen war, im öffentlichen Diskurs faktisch keine Rolle spielte. Doch auch innerhalb der Disziplin erhielten in der Finanzkrise jene Ökonomen besondere Bedeutung, die die Krise besser als andere vorhergesagt hatten. Einstmalige Außenseiter wurden so zu gefeierten Helden. Der enge Zusammenhang von gesellschaftlicher und inner‐wissenschaftlicher Entwicklung beruht nicht allein auf der gestiegenen Bedeutung der Wirtschaftwissenschaft für moderne Gesellschaften, auf ihrem technokratischen Gehalt also, sondern wurde durch die Disziplin selbst als ein Kernpunkt ihrer Selbstbeschreibung hervorgebracht und beständig bestärkt. Die verbreitete Rede von dem Ökonom als „Arzt“ der Gesellschaft oder vom „Mechaniker“, wobei die Wirtschaft als „Motor“ der Gesellschaft konstruiert wird, sind die vielsagenden Begriffe dieser Selbstbeschreibung. 

Seit dem frühen 20. Jahrhundert beziehen die Wirtschaftswissenschaften so ihre Identität ganz selbstverständlich aus ihrer vermeintlichen unmittelbaren gesellschaftlichen Verwertbarkeit, sind damit aber immer wieder auch Opfer ihrer eigenen Semantik geworden: in der Weltwirtschaftskrise 1929/31, in der globalen Krise der 1970er Jahre und zuletzt in der „Finanzkrise“ 2007/2008, die die Wirtschaftswissenschaften jeweils zum Überdenken ihrer zentralen Aussagen und Modelle nötigten. Konnten diese Krisen der Wissenschaft durch die Variation der ökonomischen Modelle oder durch fundamentale Paradigmenwechsel in der Vergangenheit immer wieder stabilisiert werden, so blieb eine wesentliche Paradoxie dennoch bestehen: Als Beobachterin erhebt sich die Wirtschaftswissenschaft einerseits über die „wirtschaftliche Realität“, die sie von der Position der Modelltheorie aus objektiv zu beschreiben können glaubt. Hierdurch erhält die semantische Trennung von „wirtschaftlicher Realität“ und der auf die Realität bezogenen „Wirtschaftswissenschaft“ den Stellenwert einer zentralen Leitunterscheidung der Disziplin. Andererseits legitimieren sich offenbar nur solche wissenschaftliche Theorien, die auch ökonomisch in der Realität erfolgreich sind, d.h. sowohl Diagnose als auch Voraussage ermöglichen. Die Grenze zwischen Wissenschaft und „Realität“ ist somit nur eine theoretische und ihre Durchbrechung an der wissenschaftlichen Tagesordnung, wodurch die Disziplin wiederholt „irritiert“ wird. 

Die vorgeschlagene Sektion für den Historikertag 2010 interessiert sich ganz allgemein für die Durchbrechung dieser systematischen Trennung von Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft. Unserer Meinung nach ist diese Paradoxie und ihre je zeitspezifische Bewältigung elementarer Bestandteil der modernen Wirtschaftswissenschaft. Sie zu zeigen und ihre gesellschaftlichen Folgen zu analysieren soll Ziel der Sektion sein. Folgende Themen stehen hierbei im Mittelpunkt: Zum einen sollen bedeutende Ökonomen untersucht werden, die sowohl Praktiker der modernen Wirtschaft (Bankiers, Unternehmer) als auch wichtige Theoretiker gewesen sind (Sent, Hesse) . Zum anderen sollen die Semantiken innerhalb der Disziplin beschrieben werden, mit denen die Paradoxie der Trennung von Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft zu lösen versucht wurde (Köster). Schließlich sollen solche Fälle rekonstruiert werden, in denen beispielsweise unternehmerische Tätigkeiten oder wirtschaftspolitische Aktivitäten im weitesten Sinne von der wirtschaftswissenschaftlichen Theoriebildung beeinflusst oder gar gesteuert wurden (Fear, Goldschmidt, Sent, Hesse). Letztlich kreisen alle Vorträge um die Frage, in welchem Maße eine wirtschaftswissenschaftliche Theorie ihre Legitimation aus dem ökonomischen Erfolg ihrer Anwendung bezieht und was passiert, wenn dieser ökonomische Erfolg ausbleibt.

  
Vorträge Epoche
Das Scheitern der Historische Schule an der sozialen Frage Neuere/Neueste Geschichte
Der Diskurs des „Praxisbezugs“ in der deutschen Wirtschaftswissenschaft der 1920er Jahre Neuere/Neueste Geschichte
Assessing the Influence of the Schmalenbach-Society on German Business, 1920s to 1960s Neuere/Neueste Geschichte
Zum Verhältnis von geschäftlichem Erfolg und wirtschaftstheoretischem Misserfolg Neuere/Neueste Geschichte
Crossing Borders in Game Theory: From Politics to Economics and Back Neuere/Neueste Geschichte