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Vortragstitel:
Kulturbegegnungen im 18. und 19. Jahrhundert
Tag:
29.09.2010
Epoche:
Geschichtsdidaktik
Sektion:
Kulturen im Konflikt? Zur Begegnung von Orient und Okzident

Abstract:

Kulturbegegnungen im 18. und 19. Jahrhundert

Referent/in: Roland Löffler, Bad Homburg


Abstract

Es gehört deshalb zu den interessantesten Entwicklungen der letzten Jahre, dass die Beschäftigung mit den religiösen Phänomenen des 19. und 20. Jahrhunderts im Kontext der Aufwertung der Kulturgeschichte eine unerwartete Renaissance erlebt. Dies gilt vor allem für den Katholizismus, den Protestantismus und das Judentum des Deutschen Kaiserreichs und sogar für die lange Zeit lediglich als Nebenprodukt des Imperialismus behandelte Missionsgeschichte, die von Allgemeinhistorikern, Volkskundlern und Sozialwissenschaftlern aufgrund ihrer Bedeutung für den Kulturtransfer langsam wiederentdeckt wird. Im Kontext des kulturhistorischen Diskurses könnte etwa die religionshistorische Palästina-Forschung zeigen, welche Formen von Kulturkontakt und Kulturkonflikt, welche faszinierenden und komplexen Wechselwirkungen zwischen Peripherie und Zentrum, zwischen Einheimischen und westlichen Siedlern in Palästina existierten.

Auffallend ist allerdings, dass die bisherige religionshistorische Palästina-Forschung ihre Ergebnisse selten in größere theoretisch-historiographische Bezüge eingebettet hat. Der technologische, wissenschaftliche und kirchlich-kulturelle Transfer von Westeuropa nach Palästina durch die christlichen Organisationen wurde bisher oft mit Hilfe eines funktionalen, aber oftmals nicht eingehend reflektierten Modernisierungstheorems analysiert. Die Einbettung in größere transnationale – nicht ausschließlich außenpolitische – Veränderungsprozesse fehlte häufig ebenso wie die Integration in den sozial-, kirchen- oder kulturhistorischen Diskurs.

Es muß deshalb versucht werden, mit Hilfe der Milieutheorie und der Mentalitätsgeschichte, wie sie von Olaf Blaschke und Frank-Michael Kuhlemann weiterentwickelt wurden, das deutsch-evangelische Palästina-Engagement als ein Segment der Formierungsprozesse des deutschen Protestantismus im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu erklären. Der Mentalitätsgeschichte und der Milieutheorie geht es im Kontext der Kirchengeschichte darum, unausgesprochene oder auch reflektierte theologische, spirituelle, kulturelle und politische (Dis)Positionen sowie die daraus resultierenden Vergemeinschaftungsprozesse nachzuzeichnen. Ich konzentriere mich aufgrund der Komplexität des Sachverhaltes auf den deutschen Protestantismus, der in letzter Zeit verstärkt in den Fokus der Forschung geriet Dazu trug auch die Herausbildung kirchlicher Zweitstrukturen durch den sogenannten Verbandsprotestantismus. Zu diesen kirchennahen und dennoch betont eigenständigen Vereinen zählten Großverbände wie das Gustav-Adolf-Werk, der Evangelische Bund, die Einrichtungen der „Inneren Mission“, aber auch die Missionsgesellschaften, in denen auch das deutsche Palästina-Engagement zu verorten ist. Die Forschung hat die Missionen trotz ihrer Bedeutung für die protestantischen Milieubildungsprozesse bisher vernachlässigt. Mit Hilfe der hier vorgestellten Überlegungen soll dieser Entwicklung entgegengewirkt werden.

Gerade die Blüte des Verbandsprotestantismus ist ein Indiz dafür, dass sich im Blick auf das 19. Jahrhundert nicht einfach von einer steten Entchristlichung der westlichen Gesellschaften und von einem Niedergang des Protestantismus sprechen lässt. Das Ergebnis ist vielmehr ambivalent. Die Religion befindet sich seit etwa 200 Jahren in einer Relevanzkrise, erlebte im Modernisierungsprozess aber auch Renaissancen, Transformationen, Neubestimmungen ihrer zentralen Glaubensaussagen und ihrer sozialen Formen. Der Säkularisierungsprozess muss deshalb wie der Modernisierungsprozess als janusköpfiges Phänomen verstanden werden. Zu diesem Komplex wird hier auch das dynamische und breitenwirksame protestantische Palästina-Engagement gezählt. Bevor im Folgenden gezeigt wird, dass die Palästina-Missionen einen Beitrag zur Stabilisierung eines an Mission interessierten, religiös wie politisch konservativen, protestantischen Teil-Milieus in Deutschland leisteten, soll zunächst kurz in die Diskussion zu Mentalitätsgeschichte und Milieutheorie eingeführt werden.