Fließende Grenzen. Abgrenzungspraktiken auf See (15.–18. Jahrhundert)

(29. September 2010 - 15.15 bis 18 Uhr - HS 1.308)

Leitung: Prof. Dr. Arndt Brendecke, Bern / Dr. Thomas Weller, Mainz



1. „Líneas imaginarias“. Über praktische Probleme der Teilung der Welt in der Nachfolge des Vertrages von Tordesillas

Referent/in: Prof. Dr. Arndt Brendecke, Bern


2. Jenseits des nördlichen Wendekreises. Pirateriepolitik und völkerrechtliche Praxis im Indischen Ozean (16. und 17. Jahrhundert)

Referent/in: PD Dr. Michael Kempe, Konstanz


3. Das mare liberum in der europäischen Völker­rechts­praxis der Vormoderne

Referent/in: Dr. Andrea Weindl, Mainz


4. „Czu vortribin di seeroubir, di Gotis und allir werlde finde“. Hansische Seesicherungsoperationen in der Ostsee im Vergleich zu venezianischen Maßnahmen in Adria und Ägäis (1360–1420)

Referent/in: Dr. Georg Christ, Heidelberg


5. Papierkrieg. Identifizierungsmechanismen und Konflikt­re­gu­lierung im frühneuzeitlichen Mittelmeerhandel

Referent/in: Prof. Dr. Wolfgang Kaiser, Paris


6. Ketzer, Kaperfahrer, Konterbande. Maritime Grenzregime und Abgrenzungspraktiken im Herrschaftsbereich der spanischen Monarchie (16. und 17. Jahrhundert)

Referent/in: Dr. Thomas Weller, Mainz



Abstract

Seit dem Spätmittelalter wurde die Nutzung der Ozeane als Kommunikations-, Verkehrs- und Transportwege intensiviert. Vor diesem Hintergrund soll sich die Sektion auf frühneuzeitliche Szenarien der Abgrenzung auf hoher See konzentrieren. Gerade weil eine bleibende Grenz­ziehung auf hoher See im Grunde unmöglich war, bietet die Beobachtung entsprechender Versuche die heuristische Chance, Praktiken und Szenarien einer imaginierten und im­provisierten, nie sich aber verfestigenden Abgrenzung, untersuchen zu können. Deutlicher als anderswo – und ganz unmetaphorisch – ist hier nicht nur das Phänomen der imagined boundaries beobachtbar, sondern auch die Notwendigkeit einer permanenten performativen Konstruktion von Grenze. Drei Beobachtungsbereiche erscheinen uns von besonderer Relevanz:
 
Europäische Expansion und nationale Interessensphären

Spanien und Portugal begannen mit den Verträgen von Alcáçovas und Tordesillas, ihre kolonialen Interessensphären durch vertraglich festgelegte Teilungslinien abzustecken. In der Praxis provozierte dies eine Reihe von Problemen, die zu diplomatie- und wissenshistorisch interessanten Aushandlungsprozessen zwangen. Schon der Vertrag von Tordesillas selbst sah vor, dass sich eine binationale Expertenkommission darum bemühen sollte, die Linie dauerhaft sichtbar zu machen, obgleich sich der Längengrad auf See nicht einmal bestimmen ließ. In den portugiesisch-spanischen Verhandlungen von Badajoz von 1524 wurde dann durch eine Reihe von wissenschaftlichen und juristischen Verfahren versucht, einen Konsens über die Lage auch des pazifischen Gegenmeridians zu finden.


Das Meer als Außengrenze – Handel, Zölle und Schmuggel

In mehrfacher Hinsicht wurde das Meer als Schauplatz der erweiterten, flüssigen Außen­grenze von Territorien im 16. und 17. Jahrhundert immer wichtiger, wenngleich diese Gren­zen sich noch schwerer sichern ließen als Grenzen an Land. Handelsvorschriften und Em­bargos zwangen zu einer permanenten, mobilen Aufmerksamkeit und zur Festlegung klarer Unterscheidungs- und Identifizierungsmerkmale der sich bewegenden Schiffe, Personen und Waren. Entsprechende Vorgänge der Identifikation und Unterscheidung erlangen zum einen in internationaler völkerrechtspraktischer Hinsicht Bedeutung. Sie beherrschen aber auch nationale Versuche, das Meer zu einer Art cordon sanitaire zu machen, der den Zustrom verbotener Bücher und Waren oder unerwünschter Personengruppen in das eigene Land oder die Kolonien unterbinden sollte. Auch wenn dieser cordon nie gänzlich zu beherrschen war, entwickelten sich doch eigenständige Verfahren der Grenz- und Passagekontrolle, etwa durch Kontrollflotten, Monopolhäfen und Passagierregister. Zudem verschärfte sich die Not­wen­digkeit, die Identität von Personen oder Waren so genau zu verschriftlichen, dass dies auf der anderen Seite des Ozeans für eine Gegenprüfung ausreichte. Diese Techniken ent­spre­chender Grenzregime blieben zwar unvollkommen, sie kultivierten aber zugleich eine Kultur ihrer beständigen Umgehung, also des dissimulativen Gebrauchs von Schriftlichkeit und Iden­ti­tät und nicht zuletzt der gänzlichen Umgehung von Kontrollen durch Schmuggel. Schiffs­eigner und Kapitäne waren häufig dazu gezwungen (oder daran interessiert), mit falschen Flaggen und gefälschten Schiffspapieren zu agieren, die tatsächliche Zugehörigkeit von Schif­fen und Waren also bewusst zu verschleiern. Schmuggler etablierten wiederum eigene Grenz- und Übergabeverfahren.


Das Meer als herrschaftsferner Raum – Szenarien improvisierter Staatlichkeit auf hoher See

Während Häfen eine zunehmend wichtigere Rolle für die Etablierung der Außengrenzen von Territorien spielten, stellte die offene See einen schwer kontrollierbaren, herrschaftsfernen Raum dar. Die dortige Praxis des Aufeinandertreffens und Miteinanders konkurrierender Na­tionen und Händler ist mit den wenigen zeitgenössischen Grundsätzen völkerrechtlicher Natur keineswegs hinreichend beschrieben. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass sich auf hoher See eigene, gewissermaßen parastaatlichen Strukturen und Regeln etablierten, deren Geltung allein auf der sozialen Praxis der Akteure (Schmuggler, Piraten, Fischer etc.) basierte. Auch wie dies von statten ging, wäre im Rahmen der Sektion zu prüfen.

Vorträge Epoche
Über praktische Probleme der Teilung der Welt in der Nachfolge des Vertrages von Tordesillas Frühe Neuzeit
Jenseits des nördlichen Wendekreises. Pirateriepolitik u. völkerrechtliche Praxis im Indischen Ozean Frühe Neuzeit
Das mare liberum in der europäischen Völkerrechtspraxis der Vormoderne Frühe Neuzeit
Hansische Seesicherungsoperationen in der Ostsee im Vergleich zu venezianischen Maßnahmen Frühe Neuzeit
Papierkrieg. Identifizierungsmechanismen und Konfliktregulierung im Mittelmeerhandel Frühe Neuzeit
Maritime Grenzregime und Abgrenzungspraktiken im Herrschaftsbereich der spanischen Monarchie Frühe Neuzeit