Über Grenzen der Disziplinen: Das Zeitalter der Extreme und seine Deutung im Schnittpunkt von Geistes-, Rechts- und Neurowissenschaften

(01. Oktober 2010 - 15.15 bis 18 Uhr - Grimmzentrum Audimax)

Leitung: Dr. Anna V. Wendland, Marburg / Prof. Dr. Claudia Kraft, Erfurt

 


Dr. Christian Geyer (Journalist), Frankfurt/M.

PD Dr. Manuela Günter (Literaturwissenschaftlerin), Köln

Dr. Ulrike Jureit (Historikerin), Hamburg

Dr. Julie Trappe (Juristin), Heidelberg



Abstract

Die geplante Sektion nähert sich dem Rahmenthema des Historikertages „Über Grenzen“ in mehrfacher Hinsicht, indem sie den nationalsozialistischen „Zivilisationsbruch“ multiperspektivisch diskutieren wird: als Grenzüberschreitung in ihrer historischen Epoche, als Phänomen von – je nach Disziplin – begrenzter oder nicht begrenzter Erklärbarkeit und als historisches Narrativ mit eigenen, impliziten Leistungsgrenzen. Dazu sollen die methodisch-disziplinären Grenzen im Bereich der Genozidforschung und Tätergeschichte des Zweiten Weltkrieges thematisiert und gefragt werden, welche heuristischen Nutzen disziplinäre Grenzüberschreitungen bringen können.

Es geht dabei 1. um die Frage der juristischen vs. historischen Aufarbeitungsweise bei der Bewältigung von "Jahrhundert"verbrechen im Feld Geschichte/Recht, 2. um die Frage des freien Willens und entsprechend die grundsätzliche Infragestellung des Konzepts "historischer Akteur" im Spannungsfeld von Geschichte/Neurowissenschaften und 3. um die zwischen Literatur- und Geschichtswissenschaften (aber auch innerhalb der Geschichtswissenschaften) bestehenden Spannungsverhältnisse im Hinblick auf "Geschichte und Geschichte(n)", also Leitnarrative vs. polyphone Versionen über ein historisches Ereignis.

Zur Beantwortung dieser Fragen planen wir einen Roundtable, an dem VertreterInnen unterschiedlicher Disziplinen ausloten sollen, inwieweit disziplinäre Grenzüberschreitungen für ein besseres Verständnis etwa der nationalsozialistischen Tätergeschichte hilfreich sein können. Um dieser Diskussion einen möglichst klaren Rahmen zu geben, werden wir den DiskutantInnen im Vorfeld einen Reader zur Verfügung stellen, in dem konkrete Täter in ihren historischen Kontexten sichtbar werden, ihre Erklärungs- bzw. Rechtfertigungsstrategien aufscheinen und die Problematik deutlich wird, die darin begründet ist, dass geschichtswissenschaftliche Erkenntnis immer perspektivischen Verzerrungen unterliegt, die in der Spezifik des zumeist nur mittelbaren Zugangs über Quellen begründet liegt; oder aber darin, dass auch in mündlichen Quellen nicht das Individuum zu uns spricht, sondern ein in soziale Deutungs- und Aneignungsprozesse eingebundene Individuum, dessen Handlungen durch diese Rahmungen beeinflusst sind. 

Konkret wird dieser Reader also Informationen zum historischen Kontext der Tatsituation, zur Überlieferungsgeschichte der Tat, zu den juristischen Aufarbeitungsprozessen sowie zu den unterschiedlichen narrativen Strategien im Umgang mit „Menschheitsverbrechen“ beinhalten. Nicht nur wegen der Aktualität (bevorstehendes Gerichtsverfahren), sondern auch aufgrund der Komplexität der Kontexte und der Eingebundenheit der historischen Akteure in diese bietet sich der Fall Demjanjuk bzw. breiter gefasst das Thema osteuropäische „Kollaboration“ als zu diskutierende Fallstudie an.

Vorträge Epoche
Über Grenzen der Disziplinen: Das Zeitalter der Extreme und seine Deutung Podiumsdiskussion