Logo des 49. Historikertags 2012 Ressourcen und Konflikte

49. Deutscher Historikertag 2012: Ressourcen - Konflikte

Structures de l'échange. Représentations du marché aux esclaves dans les Régences ottomanes au début de la modernité.

Referent/in: Anne Duprat (Paris)

Abstract:
Die Aufmerksamkeit, welche die verschiedenen Formen der in den letzten dreißig Jahren von christlichen, aber auch moslemischen Opfern verfassten Gefangenerzählungen fanden, die vornehmlich zwischen 1550 und 1750 in der Hochphase des Piratenkrieges entstanden, war im Wesentlichen von einer ideologischen Neubewertung der Zusammenhänge und Ausprägungen dieses Phänomens geprägt.[1] Lange war das Thema lediglich selektiv genutzt worden, um damit einen proselytischen, dann kolonialen Diskurs zu stützen, in welchem der "barbarische Handel" der "Piraten Staaten" an der Küste Nord-Afrikas verurteilt wurde, in dem diese das Monopol gehabt hätten. In den Quellen stellt sich uns aber die Situation vielfach insofern komplexer dar, als in dem Raum der Gefangenschaft, der die Korsarenstadt darstellte (Algier, Tunis, Tripolis, Marrakesch oder Bougie), der ehemalige aus der Gefangenschaft Freigekaufte oder Befreite, wie auch im Prozess des Auswechsels selber, als Autoren der Erzählungen als Objekte teilnehmen (Zwischenhändler, Preis der Transaktion, Länge des Verhandlungsprozesses in der Gesamtzeit etc.).

Insgesamt finden sich in allen Literaturen Europas des 16. bis 18. Jahrhundert (Portugal, Holland, England, Spanien, Frankreich, Ungarn, Albanien, etc,). Texte sehr unterschiedlicher Art, die narrativen Ensembles von einer oft bemerkenswerten Komplexität und ästhetischem Reichtum darstellen. Innerhalb dieser Gruppen besaß die Interaktion zwischen Fiktionen (Theaterstücken, Romanen) und Selbstzeugnissen (journalistische Literatur, Geschichten, Broschüren der geistlichen Redemtionsorden, separat veröffentlichte Geschichten) eine herausragende Bedeutung für die Projektion eines gemeinsamen Handlungsraumes „Barberei“: Er wurde vereinfacht, dramatisiert und war leicht identifizierbar als Raum, der dem Handel von christlichen Gefangenen vorbehalten war. Diese Inszenierung des Raumes bedeutet zugleich aber die Rücknahme jener typischen Charakteristiken der Stadt als Lebensraum, zugunsten seiner Nutzung für eine räuberische Funktion. Diese Tendenz verdichtete sich im Fall von Spanien und England im frühen 17. Jahrhundert zu einer eigenständigen literarischen Gattung, der comedia de Cautivos (Komödie der Gefangene), was erfolgreich von Lope de Vega wie von Cervantes genutzt wurde. Diese Comedias organisieren ihre Handlung rund um die wichtigsten Nervenzentren der Kaperfahrt – der katalanischen und neapolitanischen Küste, wo Gefangennahmen und Razzien stattfanden, um die Inseln und um die unterschiedliche symbolische Räume der „Kaperstadt“, nämlich Hafen, Yachthafen, Batistan und die Straßen.

Die Ausführungen, welche sich auf einzelne Ergebnisse des internationalen Programms CORSO ("Islam/Christentum vor der Moderne. Bilder und Realitäten des Kaperkrieges im Mittelmeer (1550–1750) stützen, beleuchten die Wechselwirkung zwischen Fiktion und narrativer Faktenerzählung unter Einbeziehung der gemeinsamen Konstruktion einer "unmöglichen Welt", jener der Kaperstadt, einem Rahmen, dem das Drama der Gefangenschaft, der Haft, des Austausches und Rückführung gewidmet ist.

[1] Als Beispiel für die Neubewertung vgl, W. Kaiser (Hg.), Le commerce des captifs. Les intermédiaires dans l’échange et le rachat des prisonniers en Méditerranée, XVe-XVIIe siècles (Collection de l’Ecole française de Rome), Rome-Paris, EFR, 2008.

 

 

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