Stillstehen vs. Aufholen
Referent/in: Till Kössler (Bochum)Abstract:
In der europäisch-westlichen Publizistik seit der Aufklärung wurde Spanien immer wieder als ein Land ohne Zeit beschrieben, in dem sich Modernisierungsprozesse nur oberflächlich niedergeschlagen hätten. Ein solcher „Stillstand“ konnte in einer romantischen Lesart gefeiert und als Bewahrung nationaler Unverdorbenheit gutgeheißen werden. In liberalen Kreisen galt diese vermeintliche Zeitlosigkeit jedoch als Ausweis gesellschaftlicher „Rückständigkeit”. Auf widersprüchliche Weise versuchte das Franco-Regime, den Konflikt zwischen diesen beiden Perspektiven aufzulösen. Einerseits zeigte es sich bemüht, seine Herrschaft als überzeitliche, eng mit der nationalen Vergangenheit verbundene Zeitordnung von der westlich-demokratischen Moderne abzugrenzen, andererseits wurde ‚Zeit’ im Zuge der ökonomischen Modernisierung seit Ende der 1950er Jahre verstärkt als zentrale gesellschaftliche Ressource der autoritären Erneuerung des Landes begriffen. Mit der Durchsetzung neuer Zeitpraktiken sollten die westlichen Industrienationen in Hinblick auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Produktivität „eingeholt” werden.