Logo des 49. Historikertags 2012 Ressourcen und Konflikte

49. Deutscher Historikertag 2012: Ressourcen - Konflikte

Politische Kommunikation und gesellschaftliche Stratifikation

Referent/in: Aloys Winterling (Berlin)

Abstract:
Eine Untersuchung antiker Funktionssysteme ergibt für das politische System Roms eine Ausdifferenzierung auf der Basis eines außergewöhnlich komplexen Arrangements von Rollen, Institutionen und Verfahren: Magistratur, Senat, Volksversammlungen, vielfältige gegenseitige Kontrollen der politischen Amtsträger untereinander (durch Annuität, Kollegialität, Vorrang der maior potestas und tribunizische Interzession), Wahlen, Gesetzgebung und die Verfahrensordnung innerhalb des Senats. Diese Ausdifferenzierung hatte eine für nichtantike vormoderne Gesellschaften wohl außergewöhnliche Trennung der Herrschaftsrollen von den sie temporär bekleidenden Personen zur Folge, und sie hatte die Funktion, politische Entscheidungen möglichst im Konsens innerhalb der aristokratischen Oberschicht, ansonsten unter Einbeziehung des Volkes zu treffen.

Spätestens seit den Forschungen Matthias Gelzers kann man jedoch wissen, dass dieses politische System keineswegs im modernen Sinne ausdifferenziert und autopoietisch geschlossen war. Andere gesellschaftliche Rollen der beteiligten Bürger, v.a. die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu aristokratischen Familien, ermöglichten bzw. limitierten die Übernahme politischer Funktionen, was dazu führte, dass entscheidende politische Kommunikation stets Teil multifunktionaler Oberschichtkommunikation blieb. Das politische System insgesamt war damit „eingebettet“ in die gesellschaftliche Stratifikation, was sich auch an der Vergabe gesellschaftlichen Ranges durch Bekleidung politischer Ämter (beides bezeichnet als honor) zeigte.

 

Die Analyse des antiken Rom mit den Kategorien der Systemtheorie dokumentiert somit einerseits eine primär stratifikatorische Differenzierung der Gesellschaft, andererseits eine weitgehende, an die Stratifikation rückgebundene funktionale Ausdifferenzierung politischer Kommunikation. Sie kann damit anregen zu einer Neubestimmung antiker städtischer Politik, die weder modernisierende („Staat“), noch entdifferenzierende („Ritual“) Begriffe benutzt und die zugleich der Sonderstellung der Politik in der zeitgenössischen Selbstbeschreibung als „politische Gesellschaft“ (koinonia politike, civitas) gerecht wird.

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