Ivan IV. "der Schreckliche" als Befreier? Loskauf und Abwehr der Sklavenjagden in der Legitimationsideologie des Moskauer Reiches
Referent/in: Christoph Witzenrath (Aberdeen)Abstract:
Stärker von Sklavenjagden betroffen als Ost- und Südosteuropa war zwischen 1475 und 1700 allein Afrika. Weitgehende Einigkeit besteht in der Forschung darüber, dass in dieser Periode mindestens zwei Millionen Bewohner dieses Territoriums auf die Sklavenmärkte des Schwarzen Meeres verschleppt wurden.
Die Zerstörung und der konstante Arbeitskräfteverlust machten es für jede Macht, die sich in der Steppenregion etablieren wollte, imperativ, die Fähigkeit zu gewinnen, diese Ströme physisch oder symbolisch umzuleiten. Neben hohen Ausgaben für die Steppenbefestigung nutzte Moskau postbyzantinische Topoi, die denen europäischer Mächte glichen, welche jedoch Sklavenjagden in geringerem Maße ausgesetzt waren. Die Rolle des Staates beim Loskauf und der Sklavenbefreiung bildete die Basis für die fundamentale Integrationsideologie Moskaus. Dies betraf die – die politische Kultur des Moskauer Reiches bestimmende – Repräsentationen des Loskaufs, der Sklavenbefreiung und des Exodus des "Neuen Israel", als das sich das Moskauer Reich verstand, aus einer neuen ägyptischen Gefangenschaft. Besonders die strategisch entscheidende Eroberung des tatarischen Kazan unter Ivan IV. wurde so legitimiert und erinnert. Losgekaufte Personen entstammten allen Rängen und interagierten mit tatarischen Dolmetschern, ausländischen Gesandten und Kaufleuten. In diplomatischen Verhandlungen vermehrten die genannten Repräsentationen moralisches Kapital, mit dessen Hilfe Moskau zunehmend den Vertretungsanspruch für die orthodoxen Christen beanspruchte. Doch hinsichtlich der eigenen Sklaven aus der Steppe blieb Moskau weitgehend blind: sie genossen vor der Konversion nicht den Schutz der orthodoxen Kirche, der für die sozialen Rechte selbst der untersten Bevölkerungsschichten bestimmend war.
