Politik und Preisniveau. Inflationen und wirtschaftspolitische Paradigmen im 20. Jahrhundert

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Die aktuelle Rückkehr der Inflation nach einer langen Phase der Preisstabilität erinnert daran, dass Steigerungen des Preisniveaus eine regelmäßige Begleiterscheinung kapitalistischen Wirtschaftens darstellen. Nachdem die Inflationsrate in Deutschland im Monat November 2020 zum vierten Mal im Jahr negativ war, stieg der Wertverlust des Geldes mit dem Jahreswechsel 2020/21 wieder an und überstieg Ende 2021 die Fünf-Prozent-Marke. Besonders die Preise für Heizöl und Kraftstoffe zogen im Herbst 2021 exorbitant an. Mitte Februar 2022 – noch vor Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine – titelte das Zeitschriftenmagazin Der Spiegel: „Die kalte Enteignung – Inflation: Wen sie am härtesten trifft, warum sie bleibt und was dagegen hilft“ (Der Spiegel 7/2022). Dabei waren die Inflationswerte von etwa fünf Prozent nur ein Vorgeschmack auf die Preissteigerungen des Jahres 2022, als die Inflation infolge steigender Energiepreise rasch auf über sieben Prozent anschwoll und europäische Regierungen und Zentralbanken der Entwicklung mit Preisbremsen und Zinserhöhungen entgegenwirkten.

Vor diesem Hintergrund haben wir beschlossen, das Thema „Inflation“ in seiner historischen Tiefendimension näher zu beleuchten. Neben der Aktualität des Themas, der gegenwärtigen unmittelbaren Erfahrung von Schüler:innen mit Inflationsentwicklungen und häufig mangelndem Finanzwissen spricht auch die vergleichsweise randständige Behandlung wirtschafts- und insbesondere finanzhistorischer Aspekte im Geschichtsunterricht für eine Auseinandersetzung mit dem Gegenstand. Im Fachlehrplan Geschichte für die Sekundarstufe II in RLP finden sich bspw. in den Wahl- und Pflichtmodulen mit Ausnahme der Industrialisierung kaum wirtschaftshistorische Elemente. Hier dominiert mit den Revolutionen und der Nationalstaatsbildung, der Demokratie- und Diktaturgeschichte, dem Kalten Krieg und der Europäischen Integration die Politikgeschichte – ergänzt um Kolonialismus und koloniales Erbe, Migration und Umwelt. Dabei sind politische, gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen eng miteinander verkoppelt. Dies gilt auch für das Thema „Inflation“, das weder auf die Hyperinflation 1923 in Deutschland noch auf aktuelle Preissteigerungen reduziert werden kann. Inflationen fanden auch darüber hinaus statt und sind immer auch ein gesellschaftliches Phänomen, weil sie Strukturen sozialer Ungleichheit beeinflussen und im Extremfall die finanziellen Lebensgrundlagen größerer Bevölkerungsteile zerstören können. Ihre Dämpfung gilt daher als zentrale Aufgabe der Wirtschafts- und Geldpolitik.

Die Vorträge bewegen sich dementsprechend an den Schnittflächen von Wirtschafts- und Politikgeschichte und gehen der Frage nach, worauf sich unterschiedliche politische Reaktionen auf den Wertverlust von Währungen zurückführen lassen. Zunächst weiten wir die Perspektive und beleuchten vergleichend die Inflationspolitik europäischer Zentralbanken während der 1920er Jahre. Anschließend stellen wir die Inflation nach 1945 in den Mittelpunkt, denn auch die Bonner Republik war keineswegs frei von Preissteigerungen. Die Inflationserfahrungen der Zwischenkriegszeit führten zu einem inflationsaversen Konsens, der zum festen Bestandteil einer restriktiven Geldpolitik der deutschen Zentralbank in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten wurde. Dennoch stieg die Inflation in den 1970er Jahren wieder deutlich an und mündete in Verbindung mit der Ölpreiskrise und der nachfolgenden Wirtschaftskrise in einen Zustand der Stagflation. Wie werden darlegen, wie sich die Furcht vor einer „galoppierenden“ Inflation auf die geldpolitische Praxis in der Bundesrepublik in den 1970er Jahren auswirkte und welche Anpassungen die britische Geldpolitik in der Ära Thatcher vornahm. Schließlich nehmen wir eine internationale Perspektive ein, indem wir danach fragen, warum internationale politische Initiativen und Steuerungsversuche zu jener Zeit scheiterten, obwohl man davon ausging, dass eine mangelnde Koordination eine zweite große Depression einleiten könnte.

Die Veranstaltung wird im Zimeliensaal im Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig stattfinden.

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