Cornelia Aust Caroline Arni (Sektionsleitung)

Wissen – Fakten – Praktiken: Frühneuzeitliche Perspektiven und methodische Reflexionen

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Abstract

Ob in der europäischen ‚Expansion‘, der Botanik, der Hebraistik oder Humanwissenschaft: Das Sammeln, Vergleichen und Verbreiten von Wissen wurde in unterschiedlichen (wissenschaftlichen) Kontexten ein zentrales Projekt in der Frühen Neuzeit und beginnenden Moderne.  Die Akteure rangen darum, welches Wissen als Faktum gelten sollte. Was als ‚wahr‘ gelten sollte, muss daher stärker aus seiner Prozesshaftigkeit heraus verstanden werden. Die Genese von Faktizität ist ein Prozess des Vollzugs einzelner oder aufeinander bezogener Praktiken. Die verwandten Praktiken konnten dabei in Konkurrenz treten. Reisende stritten etwa, wie die Pflanzenwelt im Osmanischen Reich zu antiken Texten ins Verhältnis zu setzen war. Missionare, Kaufleute, Reisende, und zunehmend auch Männer und Frauen, die sich als Forschende verstanden, spielten in diesem Prozess eine zentrale Rolle: Welche Informationen sammelten sie, wie verifizierten und vermittelten sie diese an ein Publikum? Für die Frühen Neuzeit stellt sich die Frage, wie Wissen ermittelt wurde, was als wahr oder falsch galt und welche Praktiken Autoren (seltener Autorinnen) nutzten, um neues Wissen zu etablieren und durchzusetzen.

Die Sektion untersucht, wie in verschiedenen Wissensbereichen vom 16.-19. Jh. Wissen produziert, seine Faktizität beansprucht bzw. hinterfragt wurde. Dabei nutzen wir einen praxeologischen Ansatz: Wie wirkten Praktiken, etwa Vergleichs-, Sammel- oder Vermessungspraktiken auf die Wissemsproduktion, wie wurde über Praktiken Faktizität infrage gestellt?

Wir fragen außerdem, wie wir als Historiker*innen mit solchem Wissen umgehen, vor allem, wenn es heute für obsolet gehalten, wird, wie z.B. die Humoralpathologie. Mit welchen Ansätzen reflektieren wir historische Faktizität und untersuchen sie in ihrer Eigenlogik? Welche Potenziale bieten diese Ansätze für den Blick auf heutige Fakten? Welche Schwierigkeiten und methodischen Probleme ergeben sich aus ihnen zur kritischen Reflexion der Geschichtswissenschaft?

Cornelia Aust (Bielefeld) Caroline Arni (Basel)
Einführung
Malte Wittmaack (Bielefeld)
Reisen – Wissen und Vergleichen

Frühneuzeitliche Reiseberichte legen Mechanismen frei, mit denen Reisende Europäer neues Wissen generierten, Fakten schufen. Das Schaffen von Fakten und ihre Infragestellung war mit Vergleichspraktiken verbunden. Sie konnten bestehendes Wissen, etwa antike Traditionen, auf Reisen zu verifizieren, jedoch auch eine ‚produktive Kraft‘ entfalten, wenn ‚neue Fakten‘ geschaffen wurden: Wie wurden aber bestimmte Vergleichspraktiken dafür angewandt: Mit welchen Modi des Vergleichens arbeiteten die Akteure bei der Wissensgenerierung? Der Zusammenhang zwischen (fragilen) Fakten und Vergleichen soll nicht nur vorgeführt, sondern über Modi des Vergleichens eine Systematisierung vorgeschlagen werden.

Muriel Gonzalez Athenas (Innsbruck)
Techniken der Herstellung Europas: Kartographie zum Ende der Frühen Neuzeit

Die Herstellung und die hegemoniale Etablierung Europas in einer globalen Raumordnung nahmen bei der Herstellung von frühneuzeitlichen Karten einen zentralen Platz ein. Die Fragen nach der Genese von Faktizität des Europabildes, seiner geographischen und bildhaften Dimensionen, stehen dabei im Zentrum des Vortrags. Das bedeutet, dass die Verwendung von kartographischen Techniken empirisch erfasst und heuristisch in Bezug zur Zentrierung Europas gesetzt wird. Wie haben die Experten die Wandlungen Europas und die vielschichtigen „europäischen Selbstverständnisse“ die miteinander konkurrierten, die neuen Techniken der Weltendarstellung aufgriffen? Mit welchen Mitteln konzipierten sie Europa als Ganzes und v.a. als geschlossenes Konstrukt?

Cornelia Aust (Bielefeld)
"mit der Juden aigen geschrifft unnd Bücher bezeugt“. Praktiken der Wissensproduktion bei frühneuzeitlichen Hebraisten

Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert entwickelte sich mit den polemischen Ethnographien christlicher Hebraisten – einschließlich derer, die vom Judentum zum Christentum konvertiert waren – eine proto-ethnographische Literatur, die sich der Beschreibung zeitgenössischer Juden und Jüdinnen im deutschsprachigen Raum zuwandte. Der Vortrag geht der Frage nach, welche Praktiken der Wissensgenerierung (Sammeln, Beobachten, Vergleichen) von Hebraisten angewandt wurden und wie sie die Faktizität dieses Wissens den frühneuzeitlichen LeserInnen zu vermitteln suchten.

Damien Tricoire (Trier)
Das Gute und das Wahre – Wissen und teleologisches Weltbild der Aufklärung

Wovon wurde Wahrheit in der Aufklärungszeit bedingt? Oft gilt die Aufklärung als Kind der „Wissenschaftlichen Revolution“ des 17. Jahrhunderts, die sich von dem teleologischen Weltbild gelöst habe. Dieser Vortrag wird diese Interpretation auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüfen. Es wird die These verteidigt, dass das Gute und das Wahre in der Aufklärungszeit nicht getrennt wurden. Das teleologische Weltbild blieb dominant. Im Vortrag wird beispielhaft auf das französische Wissen zu Madagaskar eingegangen, um die Konsequenzen der Ethisierung des Wissens im 18. Jahrhunderts zu zeigen.

Martin Biersack (München)
Statistik, Recht und Interessen. Die Generierung und Legitimierung ökonomischen Wissens im spanischen Kolonialreich um 1800

Seit Ende des 18. Jahrhunderts verbreitete sich innerhalb der gelehrten Öffentlichkeit Hispanoamerikas die Forderung, politische Entscheidung auf Grundlage statistischer Daten zu fällen. Dem stand eine Herrschaftspraxis entgegen, die sich als Moderator von Interessen und als Wahrer des Rechts und damit von Privilegien verstand. In diesem Beitrag thematisiere ich die Ansprüche der Statistiker, eine objektive Wirklichkeit zu beschreiben und deshalb handlungsleitend zu sein, innerhalb des Spannungsfelds von ökonomischer Rationalität und einer Rationalität des Rechts. Als Untersuchungsgegenstand nehme ich dabei die Reformdiskussion um die Öffnung des sogenannten spanischen „Monopols“ über den Handel mit Amerika in den Blick.

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