Heike Krokowski Emily Löffler (Sektionsleitung)

Wiedergutmachungsakten und Provenienzforschung: Stand und Perspektiven einer vielschichtigen Faktenfindung

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Abstract

Bei der Provenienzforschung geht es in vielerlei Hinsicht um Faktenfindung. Zur Identifizierung von NS-Raubgut in Sammlungen müssen Objekte untersucht, aber auch Archivquellen lokalisiert und ausgewertet werden, damit Verfolgungs- und Enteignungsumstände offengelegt und Grundlagen für Restitutionen geschaffen werden können. Wichtiges Kontextwissen zur Einordnung dieser Einzelfallrecherchen liefern Projekte zur Grundlagenforschung, bei denen Quellenbestände erschlossen, Akteure wie Kunsthändler:innen und -sammler:innen erforscht oder die Strukturen der Verfolgung und des Vermögensentzugs beleuchtet werden. Diese Forschungen berühren in vielfacher Weise übergreifende Fragestellungen der Zeit-, Wirtschafts-, Sozialgeschichte, der Holocaust Studies, Exilforschung und zur Praxis der "Wiedergutmachung" nach 1945.

Zu den wichtigsten Quellen der Provenienzforschung zählen die sogenannten Wiedergutmachungsakten, also Rückerstattungs- und Entschädigungsakten der Nachkriegszeit. Besondere Aktualität erfahren diese derzeit durch die zentrale Erschließung und die digitale Zugänglichmachung sämtlicher Akten im vom Bundesministerium für Finanzen geförderten Themenportal "Wiedergutmachung". Für die historische Forschung stünde damit perspektivisch - auch dank Tools der Digital Humanities - ein Quellenbestand in bislang nicht erreichtem Ausmaß zur Verfügung.

Die geplante Sektion möchte am Beispiel der Provenienzforschung die Möglichkeiten, die sich aus der digitalen Erschließung für die Forschung ergeben, diskutieren. Anhand von aktuellen Projekten sollen Formen der Nutzung der Wiedergutmachungsakten vorgestellt und Potentiale eines zukünftig erweiterten Zugriffs thematisiert werden: Welche neuen methodischen Ansätze können verfolgt, welche neuen Fragestellungen entwickelt werden? Welche Herausforderungen birgt eine auf digitale Tools gestützte Faktenfindung, welche Leerstellen vermag sie zu schließen und welche Ambivalenzen aufzulösen?

Meike Hopp (Berlin) Sebastian Schlegel (Weimar)
Moderation
Melida Steinke (München)
Optionen und Grenzen des Handelns – Jüdische Kunsthandlungen in München im Nationalsozialismus

Wie konnten jüdische Münchner Kunsthändler:innen angesichts früh einsetzender Repressionen ihrem Beruf mitunter noch bis zum November 1938 und darüber hinaus nachgehen? Basierend auf der Auswertung von Wiedergutmachungsakten analysiert der Vortrag Mechanismen der Verfolgung jüdischer Kunsthändler:innen, deren Handlungsspielräume als Akteur:innen des Kunstmarkts sowie die Grenzen jüdischer Kunsthandelstätigkeit in München.

Susanne Kiel (Bremerhaven) Kathrin Kleibl (Bremerhaven)
Lost lifts – Recherchen zur „Verwertung“ von Übersiedlungsgütern jüdischer Emigrant:innen durch den NS-Staat

In den Häfen Hamburgs und Bremens wurden ab 1940 Übersiedlungsgüter von etwa 4.500 jüdischen Auftraggeber:innen beschlagnahmt und versteigert. Das hier vorgestellte Forschungsprojekt rekonstruiert den „Verwertung“sprozess, den Kreis der involvierten Akteure und die Umzugsgüter anhand von Dokumenten öffentlicher Archive und der geschädigten Familien. Darunter finden sich Unterlagen der Finanz- und Justizbehörden, beteiligten Organisationen und privaten Unternehmen sowie insbesondere die Akten der nachkriegszeitlichen Wiedergutmachungsbehörden. Gebündelt veröffentlicht werden diese Informationen u.a. in der LostLift-Datenbank.

Johannes Ibel (Bayreuth)
Transformation der Wiedergutmachung: Zugänglichkeit zu Archivgut des Bundes zur Wiedergutmachung und Entschädigung nationalsozialistischen Unrechts im Bundesarchiv

Im Rahmen des Großprojektes „Transformation der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts“ bereitet die Abteilung B im Bundesarchiv umfangreiche Erschließungsinformationen und Archivgut digital für die Nutzung auf. In fünf Teilprojekten an den Standorten Koblenz und Bayreuth werden Antrags- und Entschädigungsakten, grundlegende Angelegenheiten, Gesetze und Verordnungen sowie Lastenausgleichsverfahren, die in einem Kontext zu jüdischem Vermögen oder Arisierung stehen, bearbeitet.

Emily Löffler (Leipzig)
Fragile Faktenfindung – Potentiale und Grenzen der Nutzung von Wiedergutmachung für die Provenienzforschung

In der Öffentlichkeit wird Provenienzforschung verkürzt als faktenorientierte Recherche zur Prüfung von Restitutionsansprüchen wahrgenommen. Dabei können ihre Methodik und Ergebnisse auch für zeithistorische Forschungen gewinnbringend sein. Am Beispiel der Wiedergutmachungsakten fragt der Beitrag nach den Erkenntnispotentialen dieser Quellen. An das Rahmenthema des Historikertags anknüpfend, will er zugleich über die Grenzen dieser Faktenfindung reflektieren – welche Fakten können gefunden werden, welche Aussagekraft ist zu erwarten, und wie sind sie zu bewerten?

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