Sebastian Lentz Silvio Dittrich Franziska Naether (Sektionsleitung)

Fragile Fakten verfügbar machen: Die „Wismut“ – multidisziplinäre Forschung über den Uranbergbau und dessen Folgen (1947–2020)

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Abstract

Der Uranerzbergbau in der SBZ/DDR (1947–1990) und die anschließende Sanierung der Hinterlassenschaften (ab 1991) sind untrennbar mit dem Unternehmen „Wismut“ verbunden. Die Förderung von Uranerz für die sowjetische Atomindustrie im Erzgebirge und seinem Vorland nahm Einfluss auf Industrien und Lebenswelten der Menschen und gestaltete ihre Landschaften teils tiefgreifend um. Die Folgen in Form von Transformationen räumlicher Strukturen von Landschaft, Zwang und Gesundheitsschädigung, Umwelt- und Bergbauschäden sowie sozialen Verwerfungen sind enorm und bis heute nicht vollständig absehbar. Es stellt sich die Frage, wie das schwierige Erbe eines derart komplexen gesamtgesellschaftlichen Phänomens angemessen erforscht und die Informationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können.

Das Unternehmen zur Gewinnung von Uranerz war weitgehend abgeschottet – Fakten waren wenig bekannt, das Wissen über diese sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft diffus. Wie andere in der Planwirtschaft zentrale Unternehmen verfügte die Wismut über eigene politische, kulturelle und kommerzielle Strukturen. Hinsichtlich der Löhne und des Lebensstandards waren die Arbeiter:innen und Angestellten der Wismut innerhalb der DDR privilegiert. Viele von ihnen gelangten zu bescheidenem Wohlstand, andere entdeckten künstlerische Ausdrucksformen für sich, wieder andere erkrankten schwer. Die Anzahl der Zeitzeug:innen nimmt stetig ab; Halden werden abgetragen, Quellenmaterial steht in der Gefahr, entsorgt zu werden.

In einem intersektorell ausgerichteten Grundlagenprojekt sondiert, dokumentiert und präsentiert die Sächsische Akademie der Wissenschaften in Kooperation mit Forschungs- und Gedächtniseinrichtungen das Wismut-Erbe in einer digitalen Forschungsumgebung. Diese fördert sozial- und wirtschaftsgeschichtliche bzw. Disziplinengrenzen überschreitende Forschungen (Geistes-, Natur- und Technikwissenschaften). Zentraler Bestandteil dafür sind Methoden und Tools der Digital Humanities.

Franziska Naether (Leipzig)
Einführung
Sandra Dahlke
Moderation
Rainer Karlsch (Berlin/München)
Die Wismut im internationalen Vergleich

Die im Mai 1947 gegründete Wismut AG entwickelte sich innerhalb weniger Jahre zum weltweit größten Uranbergbaubetrieb mit zeitweilig mehr als 200.000 Beschäftigten. Bis Ende 1953 war die Wismut AG ein rein sowjetisch geführter Betrieb. 1954 wurde das Unternehmen in eine Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft umgewandelt, an der die UdSSR und die DDR jeweils zur Hälfte beteiligt waren.

Für die sowjetische Atomindustrie hatte die Wismut AG/SDAG Wismut einen überragenden Stellenwert. Zwar wurde auch in fast allen anderen Ostblockländern Uranerz gefördert, doch die Produktion der Wismut übertraf die aller anderen Uranbergbaubetriebe um ein Vielfaches. Erst nach der Erschließung neuer Vorkommen in Transbaikalien Ende der 1960er Jahre überstieg die sowjetische Uranförderung die der DDR.

Andreas Hochhaus (Jena)
Medizinische Aspekte des Wismut-Erbes

Die medizinische Versorgung der Wismut-Beschäftigten war in einem eigenständigen Gesundheitsdienst organisiert. Sie umfasste Vorsorge, Diagnostik und Behandlung sowie Rehabilitation und Nachsorge. Dafür standen zahlreiche Ambulanzen, acht Betriebspolikliniken sowie sieben Bergarbeiterkrankenhäuser und -sanatorien zur Verfügung.

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat 1997 die Akten, Dateien und Archive übernommen und in Chemnitz zentralisiert. Das Archiv umfasst gegenwärtig ca. 9.000 laufende Meter Papierakten und Röntgenaufnahmen.

Zur Aufklärung der Biologie der Lungenkarzinome im Uranbergbau stehen Gewebeproben zur Verfügung, die mit modernen molekulargenetischen Methoden untersucht werden können. Bisherige Daten weisen auf genetische Aberrationen auf chromosomalem Niveau hin; diese Befunde können durch Mutationsanalyse relevanter Gene ergänzt werden und die Kenntnisse über strahleninduzierte Lungentumore komplettieren.

 

Carsten Drebenstedt (Freiberg)
Wissenstransfer von Bergbau-Folgelandschaften: Vom Sanierungsfall zum Vorbild?

In Mitteleuropa findet der Rohstoffabbau in der Regel in bereits seit Jahrtausenden durch den Menschen veränderten Kulturlandschaften statt, die den heutigen Anforderungen nicht mehr immer gerecht werden, wie Monokulturen in der Forstwirtschaft, monotone landwirtschaftliche Flächen auf kargen Böden, kontaminierte Industriebrachen. Werden solche Landschaftsteile durch den Bergbau in Anspruch genommen, können die Bergbaufolgelandschaften im Rahmen der Rekultivierungsverpflichtungen nach aktuellem Stand des Wissens und unter Einbeziehung der Menschen in der Region neugestaltet werden. Ein Drittel der Folgeflächen im Braunkohlenbergbau wird z. B. dem Naturschutz zur Erhöhung der Biodiversität überlassen. Auch Flächen der Land- und Forstwirtschaft können nach Gesichtspunkten gestaltet werden, die Wirtschaft, Erholung und dem Naturschutz gleichzeitig dienen. Neue Landschaftselemente wie Still- und Fließgewässer können zur Vielfalt der Entwicklungsangebote angelegt werden. Der Beitrag führt in Grundsätze ein und zeigt Beispiele für Chancen für die Landschaftsentwicklung nach dem Bergbau.

Sabine Loewe-Hannatzsch (Freiberg)
Umweltpolitik, Umweltprobleme und Sanierung im Uranerzbergbau der SAG/SDAG Wismut 1946–1949 – Ergebnisse, Fragen und Ausblick

Die Stilllegung, Sanierung und Rekultivierung der ehemaligen Urangewinnungs- und Aufbereitungsanlagen wird seit 1991 von der Wismut GmbH durchgeführt. Die großflächig radioaktiv kontaminierten und mit Schwermetallen belasteten Gebiete stellen größte ökologische und ökonomische Probleme dar. Die Ergebnisse des Projekts „Umweltpolitik, Bergbau und Rekultivierung im deutsch-deutschen Vergleich. Das Lausitzer Braunkohlerevier, die Wismut und das Ruhrgebiet (1949–1989/2000)“ zeigen, dass Betriebsleitungen, die Generaldirektion der Wismut, Bezirksorganen, Ministerien und verschiedene Kommissionen Entscheidungen trafen, die die Entwicklung der Umweltverschmutzung im Wismut-Gebiet beeinflussten. Der Vortrag will die Problematik des Uranerzbergbaus der DDR in einen deutsch-deutschen und internationalen Kontext einordnen.

Silvio Dittrich (Leipzig)
Forschen, Bewahren & Vermitteln – das Wismut-Erbe als (Denk-)Anstoß multidisziplinärer Forschung: Ein Werkstattbericht

Die Förderung von Uranerz in den DDR-Abbaugebieten nahm Einfluss auf Landschaften, Industrien und Lebenswelten der Menschen dieser Region. Die Folgen in Form von Veränderungen räumlicher Strukturen von Landschaft, von Zwang und Gesundheitsschädigung, von Umwelt- und Bergbauschäden sowie von sozialen Verwerfungen sind enorm und bis in die Gegenwart für Umwelt und Mensch in der Region prägend.

Beispielhaft soll der nicht nur historische Wandel der Bergbaulandschaft Aue-Bad Schlema in Sachsen anhand von Landschaftsinformationen, sprich zeitweiligen Perspektiven aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, dargestellt werden, um so ein besseres Verständnis für die Entwicklung dieses, für das Wirken der „Wismut“ typischen Landschaftsausschnitts, die damit verbundenen mehrfachen tiefgreifenden Veränderungen, sowie die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu ermöglichen.

N. N.
Diskussionseinführung

Teil 2: Kunstproduktion der Wismut als Quelle für die Geschichtswissenschaft: Eine Diskussion mit Zeitzeug:innen und Kunstwissenschaftler:innen (40 mins)

Matthias Lindner (Chemnitz)
Moderation
Anija Seedler (Leipzig) Werner Petzold (Berlin) Marcus Andrew Hurrtig (Leipzig) Annette Müller-Spreitz (Leipzig)
Diskutant:innen
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