Fragile Erinnerung. Soziale Medien und ihr Einfluss auf die Erinnerungskultur in Wissenschaft und Öffentlichkeit
Abstract
Kein anderes Medium hat in den vergangenen zehn bis 15 Jahren eine stärkere Dynamik entfaltet als das Internet. Speziell die Sozialen Medien haben mit ihren partizipativen Möglichkeiten die öffentliche Medienlandschaft nachhaltig verändert. Die Auswirkungen auf die Erinnerungskultur sind vielfältig und zugleich umstritten. Neue Vermittlungsformate auf Instagram, Twitter oder TikTok werden in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert, während die wissenschaftliche Forschung im Rahmen der Public History dazu noch weitgehend in den Anfängen steckt. Zugleich stehen Einrichtungen der politischen Bildung und Gedenkstätten vor der Herausforderung, die Sozialen Medien als Kommunikationsmittel zu nutzen, um ihr Zielpublikum besser zu erreichen und Interaktionen zwischen den Nutzerinnen und Nutzern zu ermöglichen.
Die Sektion umreißt die Bedeutung Sozialer Medien für die öffentliche Erinnerungskultur aus unterschiedlichen Perspektiven. Ausgehend von konkreten Formaten, die sich mit der Vermittlung von NS-Geschichte (auf TikTok) und der Erinnerung an die DDR (auf Instagram) befassen, soll das Potential für eine vielfältigere Form der Erinnerungskultur hinterfragt werden. Daran anknüpfend werden praxisnahe Beiträge die Chancen für die Vermittlung von historischen Themen in Sozialen Medien aufzeigen. Nicht zuletzt gilt es, auf die Grenzen und Gefahren einer unreflektierten Vermittlung hinzuweisen, etwa wenn Projekte den Anschein historischer Authentizität vermitteln, ohne eine Kontextualisierung vorzunehmen.
Die Sektion richtet sich neben dem Fachpublikum auch an Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler.
Die Veranstaltung findet im Großen Vortragssaal des Museums statt.
In der mediale DDR-Erinnerung dominierte lange Zeit die Erinnerung an Unrecht, Repression und die Überwindung der SED-Diktatur im Rahmen der Friedlichen Revolution. Innerhalb der Erinnerungskultur zeichnet sich jedoch ein Wandel ab, der nicht zuletzt durch die Verbreitung Sozialer Medien forciert wird. Neben verklärenden und von Nostalgie geprägten Erinnerungen finden sich dort auch individuelle Rückblicke auf das Alltagsleben in der DDR und die Umbrüche der Nachwendezeit. Der Beitrag hinterfragt das Potential von Instagram-Projekten wie @schwalbenjahre oder @unserletztersommer für eine differenzierte Form der DDR-Erinnerungskultur.
Auch auf der Kurz-Video Plattform TikTok ist Geschichte ein wichtiges Thema. Nicht nur haben Institutionen wie Gedenkstätten und Museen die Möglichkeit entdeckt, durch kurze Videos über ihre Einrichtungen und deren Geschichte zu informieren. Auch individuelle TikTok Creaters setzen sich mit der Bedeutung historischer Ereignisse auseinander. Dabei fallen starke Gegenwartsbezüge auf. Historische Ereignisse werden mit den Lebenswelten junger TikTok-Nutzer*innen verknüpft. Im Zentrum stehen der Dialog und Formen des interaktiven Austausches, die auch Auseinandersetzungen um angemessene Geschichtsdeutungen einschließen. Der Beitrag beleuchtet Erinnerungspraktiken auf TikTok insbesondere im Hinblick auf die von der Plattform bereitgestellten Formate und Features.
Geschichtsvermittlung ist mit den Social Media Plattformen und ihren spezifischen Charakteristiken und Logiken mehrstimmiger, diverser und partizipativer geworden. Aber es gibt auch die Sorge, dass die Komplexität und Tiefe historischer Informationen bei dieser Art der Vermittlung zu sehr reduziert wird. Müssen sich auch Gedenkstätten einer neuen Art des Konsums anpassen? Authentizität und Glaubwürdigkeit sind auch im Digitalen wichtige Parameter für die Entscheidung, was als relevant wahrgenommen wird. Wie kann diese Nähe auch bei der Kommunikation über Social Media hergestellt werden? Erfahrungen aus der Praxis der Social-Media-Kommunikation der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.
Zehn Monate täglich „Sophie Scholl“ auf Instagram. Mit dem ambitionierten Projekt wollten SWR und BR Neugier wecken auf das Leben der Widerstandskämpferin der „Weißen Rose“. Aber @ichbinsophiescholl vermittelt nicht nur Historisches, sondern verzerrt auch Geschichte. Ein Aufschrei von Historiker:innen bleibt aus. Erst Jan Böhmermann macht zum Projektende die Kritik einer größeren Öffentlichkeit zugänglich. Wie kann das sein? Augenscheinlich fehlt es Historiker:innen an Wissen über Geschichtsvermittlung in Sozialen Medien. Und Journalist:innen kennen die jüngsten Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft nicht. Oder wurden Plattform und Projektziel nicht ernst genommen? Das Projekt richtet sich vor allem an junge Frauen.
Ob Überlebende der Shoah oder Indigene: Geschichte wird in den sozialen Netzwerken aktiv und auch persönlich erzählt. Auch Gruppen, deren Perspektiven innerhalb der Geschichtsschreibung bisher oft ausgelassen wurden, gestalten sie nun aktiv mit. Darüber hinaus wird auf TikTok und Co. auch aktuelle Geschichte geschrieben; etwa wenn Ukrainer:innen vom Krieg berichten oder Iraner:innen ihre Proteste dokumentieren. Doch die sozialen Netzwerke setzen auch Grenzen: Likes, Shares und der Algorithmus bestimmen die Themen mit. Der Beitrag diskutiert, wie sich die Darstellung und Rezeption von Geschichte durch die Sozialen Netzwerke verändert und verändern muss.