Antonietta Castiello Alexander Free Michael Zerjadtke (Sektionsleitung)

Fiktionalisierung – Manipulation – Instrumentalisierung. Der Umgang mit historischen Fakten in den Quellen der frühen bis hohen Kaiserzeit

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Abstract

Viele antike Prosatexte erheben den Anspruch, reale historische Verhältnisse und Geschehnisse wiederzugeben. Doch ein solches Bestreben schloss es nicht aus, dass die Autoren ihre eigenen Ansichten einflochten oder die Darstellung bestimmter Ereignisse umarbeiteten. Solche Anpassungen wurden als legitim angesehen und hatten verschiedene Gründe. Ältere Informationen konnten aufgegriffen werden, um die Erwartungshaltung der Leser zu bedienen, Fiktionalisierungen konnten zur Steigerung des Unterhaltungswertes dienen. Veränderungen konnten aber auch genutzt werden, um das Kernnarrativ zu unterstützen oder einer aktuellen politischen Entwicklung zu folgen. Zwar wandelte sich der Umgang mit Geschichts- und Tatsachendarstellungen im Laufe der Antike, doch der lockere Umgang mit der Faktizität blieb bestehen. In der Sektion soll der Fokus auf einigen Werken der frühen bis hohen Römischen Kaiserzeit liegen. Die Konzentration auf diesen Zeitabschnitt ermöglicht es, die Vielfalt der Aspekte der Faktenmanipulation besser herauszustellen. Eingeleitet wird die Sektion durch eine Betrachtung der Rhetorik, die die historiographische Praxis maßgeblich beeinflusste. Es folgen vier Fallstudien, in denen verschiedene Textgattungen untersucht werden, nämlich die Mythen zu Romulus, die Kaiserviten Suetons, der historische Roman in der Kaiserzeit und das Geschichtswerk Appians. Allen Texten ist gemein, dass sie historische Fakten im Sinne von Tatsachen beschreiben und sie in unterschiedlicher Weise miteinander verbinden, ausschmücken oder auch manipulieren. Kein Text kommt ohne Eingriffe und Zusätze durch den Autor aus, was die Identifizierung und Interpretation der Fakten erschwert. In der Antike wurde dieses Problem nicht theoretisiert, weshalb ein methodisches Defizit im Umgang mit Fakten bestand. Die Sektion soll einige spezifische Probleme aufzeigen, um die Grenzen der Identifikation historischer Tatsachen exemplarisch abzustecken.

Michael Zerjadtke (Hamburg)
Rhetorik, Wahrheit und das Schreiben von Geschichte

Das Schreiben historiographischer Texte war bis in die römische Kaiserzeit hinein keine eigene akademische Disziplin. Das bedeutet jedoch nicht, dass die schulische Ausbildung keinen Einfluss auf die Abfassung hatte. Neben der Philosophie, die großen Einfluss auf die Historiographie hatte, war die rhetorische Ausbildung für die Gestaltung der Texte von Bedeutung. Sie gab ihnen Mittel an die Hand, um die Zuhörer und Leser von ihrem Narrativ zu überzeugen. Elementar hierfür war nicht etwa unbedingte historische Korrektheit, sondern vielmehr das Verbinden mit bereits vorhandenem Wissen, das Aufgreifen etablierter Themen und das Konstruieren einer logisch und moralisch nachvollziehbaren Argumentation.

Antonietta Castiello (Oxford/Oldenburg)
Vom Brudermörder zum „Opfer“: die Neuformung der Figur Romulus und der Legende der Gründung Roms zur Augusteische Zeit

Obwohl Octavian nie den Titel Romulus annahm und es vorzog, Augustus genannt zu werden, war die Figur des Gründers Roms sehr wichtig für die Legitimierung der neuen Regierungsform und die Wiedergeburt der Urbs. Tatsächlich war es genau die Figur des Romulus als Gründer des Vaterlandes, an die Octavian interessiert war und die Autoren dieser Zeit verstanden dies: Sie begannen, Romulus in der Legende positiver darzustellen und gingen sogar so weit, ihn vom Brudermord freizusprechen. In diesem Panel werden wir untersuchen, wie und warum die Konstruktion einer solchen Parallele zwischen Octavian und Romulus zustande kam.

Consuelo Martino (Edinburgh)
The last option or a pondered choice? Suetonius, Tacitus and material culture on the accession of Tiberius

The principate of emperor Tiberius have often been considered a deterioration in comparison to the “Golden age” of his predecessor and adoptive father, Augustus. The anecdotes narrated in the literary sources about Tiberius continue to fill the imagination of their audience with scabrous and murderous material, especially in relation to his succession to Augustus and the years in Capri. The purpose of my paper is to analyse some of the episodes related to the accession in comparison to the material evidence of the period that suggest a more nuanced and pondered decision made by Augustus in the choice of his successor. I will also suggest that Tiberius, more than anybody, contributed to cementing the innovations of Augustus and secured the continuation of the Principate.

Christian Weigel (Bonn)
Der „historische Roman“ der Kaiserzeit – Geschichte als Instrument fiktionalen Erzählens

Fiktionale Erzählprosa ist eines der produktivsten Genres der römischen Kaiserzeit. Einige dieser Prosatexte sind bewusst als „historische“ Romane angelegt, die ihre fiktionale Handlung in offenbar als bekannt vorausgesetzte historische Settings einbetten: Die Jahre nach dem Peloponnesischen Krieg, den ägyptischen Aufstand gegen die persische Herrschaft, die Gründung Ninives. Die handelnden Personen – insbesondere die weiblichen – sind aber in ihrer Sozialisierung einem kaiserzeitlichen Kontext zuzuordnen. Dies ist für einzelne Romane in der Forschung auch durchaus erkannt und untersucht worden; es fehlt aber noch an tragfähigen Überlegungen, welchem Zweck diese aufwendige
Fiktionalisierung von Geschichte gedient haben könnte.

Alexander Free (München/Yale)
Eine Alternative zu gängigen Darstellungen - Appians Römische Geschichte

Die Geschichtsschreiber des 2. Jhs. n. Chr. wurden lange Zeit vor allem als Steinbrüche der von ihnen zugrunde gelegten Zeitabschnitte benutzt. So auch Appian. Sein Geschichtswerk gilt als wichtige Quelle für die Entwicklung Roms. Mittlerweile hat sich indes ein neues Interesse an der literarischen Technik kaiserzeitlicher Historiographen entwickelt. Appian wie auch andere Autoren werden vornehmlich als Literaten erkannt. Der Vortrag greift diese Ansätze auf und setzt sie in einen historischen Kontext. Es wird danach gefragt, inwiefern sich Appian mit Vorgängern und gängigen Geschichtsdarstellungen seiner Zeit auseinandersetzt und versucht, sein Werk als eine Alternative zu etablieren.

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