Die Transferdimension(en) des Historischen: Theoretische, didaktische, geschichtskulturelle und hochschulpolitische Perspektiven
Abstract
Transferformen und -ansprüche prägen alle Arbeitsbereiche der Geschichtswissenschaft. Transfer ist historiographische Forschungskategorie und methodischer Zugang, Transfer betrifft historische Kompetenzentwicklungsziele und stellt eine disziplinspezifisch zu profilierende universitäre Leistungsdimension dar. Auch die Gegenwartsgebundenheit des Historischen ist nur im Kontext von Transferüberlegungen plausibel, was die Reflexion geschichtskultureller Bedingungen von Forschenden und der Lebenswelten z.B. historisch Lernender erfordert.
In der Geschichtsdidaktik wird der Transfergedanke unter anderem in der Pragmatik genuin mitgedacht. Geschichtsdidaktische Forschung und Lehre legen zudem nahe, dass zahlreiche Transferanliegen auch jenseits des Schulkontextes hier konstitutiv angelegt sind – sei es in der Berücksichtigung gesellschaftlicher Interessen, sei es in Kooperationen; sei es in der verstärkten Wissenschaftskommunikation oder überhaupt in der Anerkennung und Erforschung der geschichtskulturellen, also auch der außerwissenschaftlichen und außerschulischen, historisch immer bereits vorkonfigurierten Umgebung. Der Geschichtskulturbegriff legt zudem nahe, dass wir unsere Forschungsgegenstände zugleich untersuchen, prägen und im weitesten Sinne auch in sie eingebunden sind.
Die Sektion nähert sich der Transferkategorie durch eine Synopse (geschichts-)theoretischer, historiographischer, geschichtsdidaktischer, geschichtskultureller und hochschulpolitischer Perspektiven. Es wird angenommen, dass fachliche sowie an das Fach herangetragene Transferanliegen, denen hochschulpolitisch wie gesellschaftlich eine weiter zunehmende Bedeutung beigemessen wird, eine geschichtsspezifische Profilierung und Ausdifferenzierung verlangen. Dafür möchte die Sektion die Transferdimension(en) des Historischen in der disziplinären Breite erschließen und so auch Schnittmengen, Wechselwirkungen und Spezifika geschichtswissenschaftlicher Teildisziplinen offenlegen.
Weit vor der Frage nach Geschichts-„Vermittlung“ oder nach Transferstrategien als Teil einer universitären Third Mission steht die Generierung fachspezifischen Wissens als Substrat (auch) von Transferperspektiven, sei es deklaratives, konzeptuelles, prozedurales oder metakognitives historisches Wissen. Doch bereits in diesem Kontext wissenschaftlicher Geschichtsschreibung ist die Transferdimension relevant, nicht nur als Forschungskategorie: Anknüpfend an geschichtstheoretische Überlegungen und am Beispiel der Global History diskutiert der Vortrag inhaltliche, methodische und systemische Transferformen, -aktivitäten und -ziele im Kontext akademischer Geschichtsschreibung.
In einem Verständnis von Didaktik u.a. als Handlungswissenschaft werden auch in der Geschichtsdidaktik Transferanliegen im Arbeitsfeld der Pragmatik wesentlich berücksichtigt. Dass hier die Ermöglichung historischen Lernens im Fokus steht, ist unstrittig. Indessen bleiben die erwarteten Schülerhandlungen oft unspezifisch: Was genau ist zu tun, wenn etwa von ‚Reorganisation und Transfer‘ die Rede ist? Der Vortrag erörtert, inwiefern die Transferdimension zentrale geschichtsdidaktische Kategorien durchdringt. Werden Operationen historischen Denkens, fachdidaktische Prinzipien und ganze Kompetenzbereiche mithilfe des Transferbegriffs konzeptuell präziser und pragmatisch nachvollziehbarer?
Geschichtskulturelle Produkte sind in der Zwischenzeit gut dokumentiert. Geschichtsdidaktik und Public History haben deren medialen Charakter und gattungsspezifischen Aufbau vielfältig durchleuchtet. Was aussteht, ist eine dichte Rezeptionsforschung, wo, wie und inwiefern derartige analoge oder digitale Angebote (abseits von Schule) konsumiert, genutzt und verarbeitet werden. Das Konzept „Transfer“ soll daher nach kognitiven oder affektiven Aspekten fragen, die ausgehend von derartigen Manifestationen in Vorstellungen von Menschen überführt und eingebaut werden. Nach solchen Rezeptionsprozessen zu fragen, führt hin zu einer notwendigen Reflexion der Methodologie.
Der Vortrag betrachtet Museen als Orte des historischen Wissens- und Wissenschaftstransfers sowie als Foren der Verhandlung und kollaborativen Erzählung von Geschichte. Wie dient Publikumsorientierung auf der Grundlage empirischer Daten als Parameter musealer Transferstrategien? Welche Spezifika musealer historischer Bildung kennzeichnen Ausstellungen und Programme? Anhand exemplarischer Ausstellungen und Bildungsangebote diskutiert der Vortrag ‚Inklusion`, ‚Outreach` und ‚Partizipation` als Leitbegriffe und Strategien multidirektionalen und rekursiven Austausches.
Ausgehend von zentralen wissenschaftspolitischen Impulsen und Positionen der letzten Jahre vollzieht der Vortrag zunächst die Entwicklung der universitären Leistungsdimension Transfer im Gesamtkontext hochschulischer „Missionen“ nach. Es wird nach Indikatoren und Gründen für mögliche Reputationsasymmetrien insbesondere zwischen Transfer und Forschung gefragt. Zudem wird am Beispiel der Geschichtswissenschaft aufgezeigt, wie sich Transferstrategien entwickeln und fachlich konkretisieren lassen. Ebenfalls fachspezifisch werden abschließend Gütekriterien und Evaluationsoptionen universitärer Transferstrategien und -aktivitäten diskutiert.