Konstruktionen des Heroischen. Transformation und Niedergang einer politischen Kategorie im 20. Jahrhundert

CHRISTOPH CLASSEN (Potsdam) und MAJA BÄCHLER (Berlin)
Einführung und Moderation

HERFRIED MÜNKLER (Berlin)

JAN-PHILIPP REEMTSMA (Hamburg)

UTE FREVERT (Berlin)

Abstract:
„Unglücklich das Land, das Helden nötig hat!“ – Der Ausruf, den Bertolt Brecht seinem Galilei Galileo in den Mund gelegt hat, akzentuierte noch während des II. Weltkriegs die Skepsis gegenüber dem überkommenen Heldenkult. Tatsächlich gehörten „Helden“ als Vorbilder ihrer jeweiligen sozialen Gefüge seit der Antike zum festen Inventar politischer Kulturen. Ganz gleich, ob es sich dabei um mythische oder historisch verbürgte Personen handelte: Die jeweiligen Inszenierungen zielten stets auf personifizierte und ins Außerordentliche gesteigerte Repräsentation kollektiv geteilter oder jedenfalls erwünschter Tugenden. Damit bieten sie einen Ansatzpunkt für kulturgeschichtliche Analysen zu den normativen Grundlagen von Vergemeinschaftung.
Die Podiumsdiskussion widmet sich dem Wandel von Heldenbildern vom Ersten Weltkrieg bis zu medialen Inszenierungen in der Gegenwart. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Ausbreitung moderner Massenmedien und die Vergesellschaftung von Politik im 20. Jahrhundert in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht neue Voraussetzungen für die Inszenierung und Verbreitung von Heldenbildern geschaffen haben. Zugleich unterlag der auf antiken, christlichen und literarischen Stereotypen beruhende Kanon des Heldenbildes dabei erheblichen Aufweichungs-, Umdeutungs- und – siehe oben – auch Verfallsprozessen. Beispielsweise wurde der Archetyp des heldenhaften Kriegers im I. und II. Weltkrieg auf alle Gefallenen erweitert und damit zu einer inflationären posthumen Ehrzuweisung bagatellisiert. Dies deutet auf ein grundsätzliches Paradox des Heroischen im 20. Jahrhundert hin: Einerseits wird die Spannung zwischen außerordentlicher, übermenschlicher Leistung des Individuums betont, andererseits sollen damit Kollektive angesprochen und auf homogene Normen oder Ziele verpflichtet werden. An der Spannung zwischen individueller Auszeichnung und  kollektivem Gleichheitspostulat krankten nicht nur die kommunistischen Stachanow-Kampagnen, auch zum demokratischen Ideal besteht eine nicht leicht zu überbrückende Kluft. Damit stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis das Heroische zu den konkurrierenden politischen Ordnungen und Normen des vergangenen Jahrhunderts steht.
Ziel der interdisziplinär besetzten Podiumsdiskussion ist es, die Transformation des Heroischen als  Teil des grundlegenden Wandels des Politischen im 20. Jahrhundert zu  diskutieren. Aus den unterschiedlichen, geschichts-, politik- und literaturwissenschaftlichen Perspektiven der Teilnehmer soll die Transformation dieser Kategorie sowohl inhaltlich beschrieben als auch im Hinblick auf ihre Grundlagen untersucht werden. Wie veränderten sich die Inszenierungen des Heroischen, etwa bezogen auf Geschlechter- und Körperdarstellung? Welche Normen waren zu unterschiedlichen Zeiten in den europäischen Kulturen daran geknüpft und wie wirkten diese auf den Heldentopos zurück? War es am Ende die Inflationierung dieser Kategorie durch ihre propagandistische Instrumentalisierung, die ihren Niedergang herbeigeführt hat? Oder muss dies eher als Folge der Gewaltexzesse des letzten Jahrhunderts interpretiert werden? Nicht zu übersehen ist auch eine Spannung zu den umfassenden Sicherheitsbedürfnissen in modernen Industriegesellschaften.
Zugleich stellt sich die Frage, ob  die Rede vom Übergang ins „postheroischen Zeitalter“ für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt zutreffend ist. So deutet manches darauf hin, dass das Bedürfnis nach Helden weiterhin lebendig ist, jedenfalls stellt ihre Inszenierung weltweit  einen stabilen Topos populärer Kulturen dar. Und sind unsere gegenwärtigen Demokratien tatsächlich frei von Heldeninszenierungen? Hier ist nach den Traditionen und Transformationen, nach Sublimierungen und Schwundstufen dieser Kategorie in unterschiedlichen Ländern zu fragen, nach dem Pathos des charismatischen Politikers bzw. Kriegshelden, des „Opfers“, des „Stars“, und von „modernen“ Tugenden  wie „Zivilcourage“.