Kasinokapitalismus und Kommerzkick. Konvergenzen von Wirtschaft und Spiel im 20. Jahrhundert

HARTMUT BERGHOFF (Washington, D.C.)
Moderation

JAKOB TANNER (Zürich)
Kritik des Kasinokapitalismus

ALEXANDER ENGEL (Göttingen)
Antinomie der Börsenspekulation, oder: Kann und darf Wirtschaft Spiel sein?

ROLF F. NOHR (Braunschweig)
„Planspiel ist Denkschulung“. Ökonomische Adaptionen in Unternehmensplanspielen der jungen Bundesrepublik

JULIANE CZIERPKA (Göttingen) und PETER RÖMER (Münster)
Spiel oder Wirtschaft? Der Prozess der Kommerzialisierung im deutschen Profifußball in der Kritik der Anhänger

TOBIAS WERRON (Luzern)
Spannende Wettkämpfe, spektakuläre Spekulation. Über Gemeinsamkeiten und Differenzen „spielerischer“ Unterhaltung in Sport und Wirtschaft

SASCHA MÜNNICH (Göttingen) und ROMAN ROSSFELD (Zürich)
Kommentar

Abstract:
Traditionell ist die Sphäre der Ökonomie mit Ernst, Mühseligkeit und Zweckgerichtetheit assoziiert, die Sphäre des Spiels hingegen mit Zweckbefreitheit, Mühelosigkeit und Spaß. Für das 18. und 19. Jahrhundert lässt sich eine explizite Gegenüberstellung beider Sphären beobachten, und im Kern wirkt diese Kontrastierung von Homo faber und Homo ludens bis heute fort. Zugleich zeigt sich aber – so die zu diskutierende Grundthese dieser Sektion – eine Auflösung der Dichotomie.
Jakob Tanner stellt den „Kasinokapitalismus“ in den Mittelpunkt seines Vortrags und analysiert, nach einer kritischen Würdigung des Begriffs, die historische Entwicklung der Deregulierungseuphorie, die im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts die globale Dynamik digitalisierter Finanzmärkte ausgelöst hat. Auch Alexander Engel stellt das Vordringen spielerischer Elemente in ökonomische Sphären im Vordergrund. Indem er das Börsenparkett als Wettkampfarena und die Börsenspekulation als Spiel diskutiert, arbeitet er, anhand der sich wandelnden Diskurse bezüglich der ökonomischen Folgen und Funktion des Börsenspiels, die veränderte Auffassung des Ökonomischen im Allgemein heraus. Rolf Nohr beschäftigt sich mit der bewussten Einführung spielerischer Elemente, in Form von Unternehmensplanspielen, in die Unternehmen. In den „Serious Games“ der 50er Jahre wurden Handlungssteuerung, Wissenstransformation sowie die Adaption an das neue Medium Computer und einen veränderten Rationalitätsbegriff „gespielt“. Juliane Czierpka und Peter Römer stellen das ökonomisierte Spiel in den Vordergrund und bemühen sich um eine historische Einordnung des häufig kritisierten Prozesses der Verwirtschaftlichung des Fußballs in Deutschland und untersuchen dessen Folgen für die Anhänger. Tobias Werron analysiert abschließend aus einer soziologischen Perspektive heraus, gestützt auf die Abgrenzung des modernen Wettkampfsports gegenüber dem Spiel, ob sich auch Formen der Unterhaltung in Sport und Wirtschaft genauer analysieren lassen.

English Version:
Traditionally, the economic sphere is characterized by its earnestness, its arduousness, and by following purposes. Playing, on the other hand, is seen as an effortless, purposeless amusement. In the 18th and 19th century, homo faber and homo ludens were distinctly separated from each other, a dichotomy that still exists today, even though the boundaries between the two spheres became blurred. The section deals with different areas where the lines between the economic and playing vanished during the 20th century.
Jakob Tanner looks at conceptual problems and semantic pitfalls of the term ‘casino capitalism’, before developing a critique of the euphoria of deregulation that has triggered the global dynamics of digitized financial markets in the last quarter of the 20th century. Alexander Engel shows how the economic sphere displays several characteristics of playful behavior. He examines how the stock market’s trading floors became an arena and compares speculation to a game in order to discuss changes in the perception of economics in general. Rolf Nohr deals with the deliberate introduction of games into businesses. The serious games of the 1950s enacted fundamental changes in (economic) controlling, the transformation of knowledge as well as the adaptation to a new media and a renewed concept of rationality. Juliane Czierpka and Peter Römer address the issue of the commercialization of professional football in Germany. In a first step, they seek to form a theoretical and empirical basis for the fierce criticism about this process, which is mainly expressed by the supporters, whose role will be analyzed in a second step. Tobias Werron looks at the distinction between modern competitive sports and other games to discuss how this sociological perspective can help to analyze forms of entertainment in modern sports and the economy.