Die Friedensbewegung in der geschichtswissenschaftlichen Kontroverse

PETER HOERES (Würzburg)
Einleitung

GERHARD WETTIG (Kommen)
Friedensbewegung und Machtpolitik.
Die westdeutschen Friedensgruppen zwischen Abrüstungsideal und Aufrüstungsrealität

BENJAMIN ZIEMANN (Sheffield)
Die Friedensbewegung zwischen Blockpolitik und sozialer Bewegung

MICHAEL PLOETZ (Berlin)
Die geplante Bewegung: Diplomatie, Militärpolitik und Friedenskampf in der sowjetkommunistischen Strategie der 1970er und 1980er Jahre

BEATRICE DE GRAAF (Den Haag)
Die Friedensbewegung als Katalysator für ein neues europäisches Sicherheitsverständnis, 1970 – 1990

Abstract:
In der Geschichtsschreibung zur Friedensbewegung finden sich zwei unterschiedliche Forschungsansätze: Der eine arbeitet die personelle und institutionelle Unterwanderung wichtiger Entscheidungsgremien der Friedensbewegung durch Personen, Parteien und Komitees wie Josef Weber, DKP, DFU oder KOFAZ heraus. Diese waren inhaltlich und finanziell stark vom Ostblock abhängig und konnten im Sinne der Ziele Moskaus und Ost-Berlins die Friedensbewegung auf einen „Minimalkonsens“ festlegen, der eine einseitige Abrüstung im Westen forderte. Ungeachtet der divergierenden Positionen der Aktivisten übten Kommunisten oder kommunistisch beeinflusste Akteure an Schlüsselstellen maßgeblichen Einfluss aus, was sich etwa im „Krefelder Appell“, dem größten Mobilisierungserfolg in der Bundesrepublik, mit seinen einseitig gegen die westliche Rüstungspolitik gerichteten Forderungen zeigte.
Auf der anderen Seite wird betont, dass die „Ferngesteuerten“ nur eine kleine Minderheit innerhalb der Friedensbewegung gewesen wären. Die Friedensbewegten hätten das Blockdenken des Kalten Krieges gerade zu überwinden versucht und sich als sperrig für die Propaganda erwiesen. Die Friedensbewegung der 1980er Jahre sei in ihrer Genese zudem wesentlich älter als der NATO-Doppelbeschluss und mit den Deutungsmustern des Kalten Krieges nicht zu verstehen, sondern in Distanzierung von zeitgenössischen Erklärungsmustern als neue transnationale soziale Bewegung zu begreifen. Emotions-, kultur- und sozialhistorische Fragestellungen werden dabei anstelle politikgeschichtlicher Analyse gesetzt, was mitunter soweit geht, dass die Beeinflussung von Teilen der bundesdeutschen Friedensbewegung durch KPdSU, SED und Staatsicherheit gar keine Erwähnung mehr findet.
Welchen Stellenwert soll also künftig die „Ost-Connection“ in der Erforschung der Friedensbewegung einnehmen und wie soll sie methodisch taxiert werden?
Welchen Beitrag hat die Friedensbewegung für das Ende des Ost-West-Konfliktes geleistet? Retardierte sie eher den Prozess des Wandels im Ostblock oder beförderte sie diesen? Weitere methodische Fragen schließen sich an: Wie sind soziale Bewegungen analytisch fassbar und welche Rolle können dabei zeitgenössische Erklärungsmuster spielen? Bedeutet die Historisierung zeitgenössischer Erklärungsmuster, dass deren Geltung damit obsolet ist?

English Version:
The Peace Movement in historiographical debates

Up to now there have been two different ways of examining the history of the peace movement:
The first approach stresses the personal and institutional infiltration of important decision-making bodies of the movement by single persons, parties and committees such as Josef Weber, DKP, DFU or KOFASZ.  In matters of finances and contents these infiltrations strongly depended on the Eastern Bloc. Moscow and Eastern-Berlin defined a minimum consensus which claimed an unilateral disarmament in the West. The Krefelder Apell was a major outcome of this policy, since it represented a peak of public mobilization for the peace movement in the Federal Republic.
The second line of research emphasizes that the ”remote-controlled actors” merely formed a minority within the peace movement. The majority of pacifists, on the other hand, attempted to overcome the bipolar thinking and therefore was not very useful for propaganda issues. Moreover it is argued, that the NATO Double-Track-Decision could not be illuminated by Cold War interpretations, since the situation of the 1980s was so much different from former episodes of the peace movement`s history. In fact, the new pacifism had to be understood as a modern transnational phenomena. In this perspective the focus is set on emotional, cultural and social approaches. Political history, in contrast, is neglected and in some cases also not taken into account at all.
The discrepancy of both research lines lead us to the following historiographical questions: What is the actual significance of the “East Connection” for the history of the peace movement and which methodological instruments can help to examine this problem? What did the peace movement contribute to end the East-West conflict? And regarding methodological issues again: How can social movements be analyzed empirically and what is, on the contrary, the validity of contemporary explanation samples?