Urban distinctions. Praxeologische Perspektiven auf Segregation und Nachbarschaftlichkeit im Westeuropa des 20. Jahrhunderts
Abstract
Die Frage, in welchen Räumen und mittels welcher Praktiken soziale Grenzziehungen alltäglich hergestellt werden, eröffnet neue Perspektiven auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse. Die Sektion befasst sich daher mit Formen der sozialräumlichen Segregation und der Nachbarschaftlichkeit in den urbanisierten westeuropäischen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts. Sie diskutiert die Möglichkeiten einer praxeologischen Analyse gesellschaftlicher Spaltungen und zielt darauf ab, gängige gesellschaftshistorische Narrative aus einer stadtgeschichtlichen, akteurszentrierten Sicht kritisch zu beleuchten. Die Segregation von Städten – die erhöhte Konzentration bestimmter Milieus in bestimmten Wohngebieten und daraus resultierende Spaltungen des städtischen Raumes – gilt als zunehmendes Problem. Dabei ist Segregation als Ausdruck sozialer Differenzierung und Ungleichheit kein neues Phänomen, sondern lässt sich stadtgeschichtlich weit zurückverfolgen. Zugleich evoziert der Begriff ein Bild homogener, von klaren Grenzziehungen geprägter Stadtviertel, das einer näheren Betrachtung meist nicht standhält. Unbeantwortet bleibt in der Regel auch die Frage, was sich eigentlich genau hinter der Konzentration bestimmter Gruppen in bestimmten Räumen verbirgt und wie räumliche Trennungen im urbanen Alltag konkret hergestellt und stabilisiert, mitunter aber auch durchbrochen werden. Die einzelnen Beiträge zielen daher darauf ab, die „Polarisierung der Städte“ stärker in den Erfahrungs- und Lebenswelten ihrer Bewohnerinnen und Bewohner zu verankern. Sie beleuchten Praktiken der Grenzziehung, Distinktion und Nachbarschaftlichkeit in und zwischen Arbeiter-, Mittel- und Oberschichten sowie „einheimischen“ und „migrantischen“ Stadtbewohnerinnen und -bewohnern in Großbritannien, Frankreich und Westdeutschland vom frühen 20. Jahrhundert bis in die 1980er Jahre.