Ulrike Ludwig Birgit Emich (Sektionsleitung)

Bürokratie als Einheitsmaschine

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Abstract

Das Gelingen von Herrschaft, zumal von Herrschaft über große Reiche, war kein Selbstläufer. Nicht nur die Weite des Raums führte stets aufs Neue zu logistischen, administrativen, aber auch ökono­mischen Herausforderungen. Zugleich bestanden innerhalb großer Reiche z.T. erhebliche Unterschie­de zwischen den verschiedenen Regionen fort – etwa mit Blick auf Sprache, soziale Differenzierung, konfessionelle und religiöse Zugehörigkeiten, ständische Verfasstheit, rechtliche Traditionen etc. Vor diesem Hintergrund führt die Frage nach Formen und Effekten gesellschaftlicher Spaltung in der Frühen Neuzeit zu der Frage, inwieweit überhaupt Konzepte der Einheitsstiftung etabliert waren, deren Versagen man als Spaltung erfahren und thematisieren konnte. Wir gehen davon aus, dass sowohl für die Entstehung solcher Konzepte als auch für die Überwindung gesellschaftlicher Spaltungen der Etablierung und Durchsetzung administrativer Strukturen zentrale Bedeutung zukam. Geprägt waren diese Strukturen durch die Herausbildung und Absicherung spezi­fischer Verfahren, die einerseits ein relativ gleichförmiges Entscheiden in der Sache gewährleisteten, andererseits aber trotz sehr unterschiedlicher Voraussetzungen der verschiedenen Akteursgruppen in den unterschiedlichen Regionen zu übergreifenden Chancen auf Teilhabe führten. Angesichts der enormen sozialen Vielschichtigkeit frühneuzeitlicher Gesellschaften stand die Administration dabei vor der Herausforderung, Differenz zu verarbeiten. Denn im Unterschied zur Moderne waren im frühneuzeitlichen Europa egalitäre Konzepte einer prinzipiellen Gleichheit fremd, mannigfaltige Formen von Ungleichheit hingegen weithin akzeptiert. Gleichwohl setzte die entstehende Bürokratie Prozesse in Gang, die nicht nur dazu beitrugen, Herrschaft im lokalen Raum zu implementieren. Vielmehr gelang es auch – so die zentrale These des Panels –, gesellschaftliche Unterschiede zu überwölben und trotz der Akzeptanz von Differenz Zugehörigkeit zu ermöglichen. Bürokratie wurde zur Einheitsmaschine. Aspekte dieses Zusammenhangs werden in den vier Beiträgen der Sektion vorgestellt und gemeinsam diskutiert.

Birgit Emich (Frankfurt am Main)
Einheit in der Vielfalt? Die Bürokratie der Päpste zwischen Einheitsdiskurs und Differenzbewältigung
Globalhistorisch inspirierte Forschungen zeigen, dass die römische Kirche in der Peripherie keineswegs den alles dominierenden Einfluss hatte, den man ihr und v.a. den sie sich selbst lange zuschrieb. Andererseits nahm der Anspruch Roms auf zentrale Regelungsgewalt mit und nach dem Trienter Konzil eher zu als ab. Starke Diskurse der Einheit und Zentralität standen also neben schwachen institutionellen Regimen, die Differenz und Vielfalt zwar verarbeiten, aber nicht beheben konnten. Gerade diese schwache Bürokratie diente der Einheit: Indem Fragen zu Dogma, Liturgie und Verwaltung anhaltend nach Rom gezogen, dort aber nie entschieden wurden, gelang es der Kirche, Vielfalt zu akzeptieren, ohne den Anspruch auf Einheit aufzugeben. Zentralität wurde durch Nachfrage hergestellt, nicht durch Entscheidung.
Ulrike Ludwig (Frankfurt am Main/Dresden)
Zwei Gänse und ein Hoheitsakt. Amtliche Patronage und herrschaftliche Einheit in Schweden
Schweden erlebte im 17. Jh. eine bemerkenswerte räumliche Ausdehnung. Auffällig ist, dass man in der Verwaltung dieses gewachsenen Reiches zunächst gerade nicht mit lokalen Eliten zusammenarbeitete, sondern auf ortsfremde Beamte setzte, die als Broker staatlicher Leistungen vor Ort und Zentren amtsgebundener Patronagenetze fungierten. Sie ermöglichten als Auskunfts- und Beratungsinstanz damit die Inanspruchnahme (neuer) staatlicher Strukturen und zugleich das Erleben der Zugehörigkeit zu Schweden in den Vollzügen der Verwaltung. Am Beispiel Schwedisch-Pommerns wird dieser Zusammenhang betrachtet und ein konzeptioneller Vorschlag zu den Logiken patronagegestützter Verwaltung in zusammengesetzten Reichen entwickelt.
Kolja Lichy (Gießen)
„Der Staat als ein einzelnes Wesen“. Vom Umgang mit Ambiguität in der Finanz-und Wirtschaftsverwaltung der Habsburger Monarchie des 18. Jahrhunderts
Joseph von Sonnenfels‘ Vorstellung eines zusammenhängenden Staatskörpers darf exemplarisch für die in der Forschung beschriebenen Vereinheitlichungsbemühungen der Habsburger Monarchie des 18. Jh. stehen. Die Administration galt in der Theorie als ausführendes Organ dieser unifizierenden Politik, die auf die Eliminierung von Mehrdeutigkeiten bei Kompetenzen, Hierarchien und Zugehörigkeiten abzielte. Gerade die Wirtschafts- und Finanzverwaltung ist beredtes Beispiel dafür, inwieweit die Herstellung von neuen Eindeutigkeiten mit der – ungewollten – Schaffung expliziter Ambiguitäten einherging. Wie die administrative Vereinheitlichung dialektisch nur zum Preis einer Ambiguitätstoleranz zu betreiben war, wird am Beispiel der zentralen Steuerung städtischen Kredit­wesens gezeigt.
Tim Neu (Bochum)
Eumenes-Effekte, oder: Die britische Fiskalbürokratie als imperiale Einheitsmaschine
Der Auf- und Ausbau eines öffentlichen Schuldenwesens seit 1688 intensivierte die politische Integration Englands, insofern immer mehr Akteure als Gläubiger Interesse am Fortbestehen des neuen Regimes entwickelten – der „Eumenes effect“ (B. Carruthers). Der Vortrag fragt nach ähnlichen Effekten im imperialen Maßstab. Die britische Fiskalbürokratie konnte als Einigungsmaschine wirken, etwa im Kontext der Truppenfinanzierung in den Kolonien. Dieser Effekt blieb jedoch lange Zeit auf die imperialen Eliten beschränkt, eine breitere fiskalische Integration wurde zum Teil sogar mittelbar verhindert, wie am Umgang mit den Papiergeldpro­jekten der nordamerikanischen Kolonien deutlich wird.