Sebastian Lotto-Kusche (Chair of the panel)

Minority History as a Subdiscipline of History? Minority-Majority Relations among Sinti and Roma in the Federal Republic of Germany

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Abstract

With the emergence of a historical perspective on social conditions and migrations, the idea of introducing a new field of historical research into minorities has recently gained salience among social scientists. Already in the 1990s, some researchers attempted to establish a historical subdiscipline centered on the study of ‘stereotypes.’ As this was initially conceived as an extension of antisemitism research, studies in the fields of minority and stereotype research have thus far been limited to the history of prejudice and repression. Departing from this narrow focus, we suggest that research methods and perspectives be broadened to encompass the complex relations between minorities and majority/ies. A nuanced analysis of power relations and social interactions between these two groups will, we believe, open up fresh perspectives on the subject.

Migratory movements throughout the 20th century led to the emergence of new power relations between minorities and majorities in many places across the Federal Republic of Germany. Scholarship also focused on other “old minorities” such as the ethnic minority of Sinti and Roma. Over the course of the past two decades, minority history has evolved into a complex field of research that centers on the exploration of local disruptions, in particular through regional studies. From the outset, researchers have tended to focus on the genocide of Sinti and Roma during the Nazi regime, producing numerous studies on the events leading up to the murders and their historical aftermath. Nevertheless, as this conference section aims to show, there are still considerable gaps in our understanding of the Sinti and Roma genocide, especially with regard to the post-war reaction to this traumatic event.

In light of these developments, this section considers the potential contributions and limitations of research perspectives on minority-majority relations as a historical phenomenon, using the example of Sinti and Roma in the Federal Republic of Germany after 1945 as an initial point of departure. To what extent can the framework of minority history also offer a fresh perspective on changes and developments in society as a whole? How can essentialist perspectives and interpretations be avoided? What different types of source material are especially relevant to this analysis? How does the question of minorities relate to research on democratization processes after 1945? In addition to these questions, this section also considers how historical research into minorities can be better integrated into existing academic landscapes.

Karola Fings (Köln)
Moderation
Daniela Gress (Heidelberg)
Minderheiten und Demokratisierung. Bürger- und Menschenrechtsaktivismus von Sinti und Roma in der Bundesrepublik Deutschland
Angehörige der Sinti und Roma organisierten sich in der Bundesrepublik Deutschland seit Ende der 1970er Jahre in Bürger- und Menschenrechtsverbänden, um als bislang marginalisierte Gruppen ihre politischen Belange wirksamer vertreten zu können. Dabei durchliefen sie ähnliche Entwicklungen wie andere neue soziale Bewegungen dieser Zeit. Ihre Forderungen verwiesen stets auf verfassungs- bzw. völkerrechtliche Grundsätze und kritisierten Widersprüche zwischen dem rechtsstaatlich-demokratischen Anspruch der Bundesrepublik sowie der behördlichen Benachteiligung von Sinti und Roma. Vielfache Verweise auf die politische Verantwortung gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus verliehen insbesondere öffentlichen Protestaktionen eine starke moralische Bedeutung. Austauschprozesse zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten in den Blick nehmend fragt der Vortrag vor allem nach Ergebnissen dieses Aktivismus, die eine nachhaltige Demokratisierung angestoßen haben.
Sebastian Lotto-Kusche (Flensburg)
Das Ringen um die Diskurshoheit. Die Verbände der Sinti und Roma im Konflikt mit den „Zigeunerforschern“ in der Bundesrepublik Deutschland
Die deutsche Geschichtswissenschaft hat sich nach Kriegsende kaum mit der NS-Verfolgung von Sinti und Roma beschäftigt, obwohl bereits im 1946 erschienenen „SS-Staat“ von Eugen Kogon diese Opfergruppe explizit benannt wurde. So wurde in fachfremden Schriften, die aber historiografisch stark rezipiert wurden, in der Regel der „kriminalpräventive“ Charakter der Verfolgung hervorgehoben. Das Desinteresse hatte zur Folge, dass selbst ernannte „Zigeunerexperten“ die Diskurshoheit über die Geschichte und Kultur der Sinti und Roma für sich beanspruchten. Medizinalrat Hermann Arnold, der von staatlichen Institutionen lange als wichtigster „Zigeunerexperte“ angesehen wurde, versuchte wiederholt, die sich herausbildenden Verbände der Sinti und Roma und deren wichtigste Unterstützer zu delegitimieren. Jene wären kommunistisch unterwandert und betrieben Geschichtsklitterung, so Arnolds Vorwurf. Die Verbände sahen Arnold dagegen in der Tradition der „Rassenhygiene“, wenn er in Veröffentlichungen etwa die Sterilisation von „Zigeunern“ propagierte. Der Vortrag dokumentiert den Kampf um Deutungsmacht und legt Argumentationsstrategien offen.
Frank Reuter (Heidelberg)
Perspektivwechsel. Die politische Emanzipation der Sinti und Roma im Spiegel der Fotografie
Bis weit in die 1970er Jahre reproduzieren Unterhaltungsmedien wie Bildbände oder Illustrierte ein „Zigeuner“-Bild, das alte ikonografische Muster aufgreift und den nationalsozialistischen Genozid hinter bunten Bildern zum Verschwinden bringt. In den 1980er Jahren etabliert sich in der Fotografie ein sozialkritischer Diskurs als Gegenströmung zu diesem dominanten exotisierenden Blickregime. Eine neue Generation von Fotografen legt das vorherrschende „Zigeuner“-Konstrukt als eine Form der Verdrängung bloß und hinterfragt die Prämissen des eigenen Blicks. Die damit einhergehende neue fotografische Sicht auf die Minderheit ist zugleich ein Reflex auf die sich zeitgleich konstituierende Bürgerrechtsbewegung der deutschen Sinti und Roma. Deren Repräsentanten werden im Medium Fotografie erstmals als politische Subjekte sichtbar. Fotos sind somit keine bloßen Abbilder, sondern sie wirken aktiv auf gesellschaftliche Transformationsprozesse ein.
Yvonne Robel (Hamburg)
Antiziganismus vor Ort. Zum Potenzial lokal- und regionalgeschichtlicher Perspektiven
Roma gelten gemeinhin als größte europäische Minderheit. Somit erscheint es zunächst naheliegend, eine Antiziganismusgeschichte für nach 1945, die Minderheits- und Mehrheitskonstellationen in den Blick nimmt, inter- oder transnational zu schreiben. Welche Relevanz haben vor diesem Hintergrund jedoch lokal- und regionalhistorische Perspektiven? Bergen sie auch für die Nachkriegszeit ein besonderes Potenzial, wie es Forschungen über die Diskriminierung, Disziplinierung und Verfolgung von Roma und Sinti vom Deutschen Kaiserreich bis in den Nationalsozialismus gezeigt haben? Diese Fragen sollen zum einen anhand einer kritischen Bestandsaufnahme bisheriger lokal- und regionalhistorischer Studien zum Thema diskutiert werden. Zum anderen wird am Beispiel Hamburg gefragt, inwieweit eine lokale Nachkriegsgeschichte des Antiziganismus durch Handlungsspielräume einzelner Akteure sowie ‚eigensinnige‘ Praktiken vor Ort geprägt war.
Uwe Danker (Flensburg)
Kommentar