Daniela Schulz (Chair of the panel)

All errors and confusion?! – The interconnectedness of scholarly editing and historical (de)construction

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Abstract

The text-bound nature of the study of history is already proverbial. This is why, for centuries, scholars have been editing sources constantly in order to provide historical research with the best possible basis for its work. The base material, the editing processes and the end products (i.e. editions) itself are indeed subject to certain trends. In addition to numerous new editions of already edited sources, there is also an increasing number of editions focusing on novel material. Whereas until a few years ago, the “negative selection of feasibility” (R. Schieffer) was a criterion that decided that widely transmitted sources were often not edited at all, or at least not “successfully”, this no longer seems to be an issue with the new “digital” possibilities regarding the processing of larger amounts of data, evaluation, visualization, etc. But no matter whether digital or print: to this day, the basic editorial effort to provide texts for scientific purposes, and to come as close as possible to an original source, taking into account its history, has not lost any of its appeal.

The session, which brings together contributions from the domain of historical research itself, but also from related disciplines, would like to focus on current questions and problems in the field of editing. The edition as a selection of source material and (at least indirectly) as anexpression of a respective opinion, nfluences research and shapes our image of a certain era, a region, a person etc. The same applies to the constituted text. Editions thus canonize and mirror prevailing beliefs, narratives, conventions and contemporary scientific interests.

The presentations focus on  currently prepared projects of various kinds,  but also offer theoretical reflections. The spectrum ranges from dissertation projects to large-scale editorial endeavours funded on a long-term basis.

Karl Ubl (Köln)
Die Illusion der Gesetzgebung. Probleme und Grenzen einer modernen Kapitularienedition
Die Kapitularien fränkischer Könige wurden erstmals 1677 von É. Baluze gesammelt, herausgegeben und damit kanonisiert. Seit diesem Meilenstein der Forschung erwecken alle Editionen den Eindruck einer kontinuierlichen, aufeinander bezogenen und stetig wachsenden Gesetzgebung. Dies steht im deutlichen Gegensatz zur Überlieferung in den Handschriften des 9. Jh., in denen kaum mehr als 10 Kapitularien gemeinsam abgeschrieben wurden. Wie kann diese punktuelle Präsenz der Texte in einer Printedition adäquat abgebildet werden? Wie muss eine digitale Edition aussehen, damit sie nicht nur als Beiwerk der Printedition betrachtet wird? Und: wie kann die Illusion von Gesetzgebung in einer modernen Kapitularienedition vermieden werden?
Anne Wilken (Wuppertal)
Kanonbildung in der Philosophie – Text und Kontext der Akademie-Ausgabe von Kants Schriften
Immanuel Kant zählt zweifelsohne zu den philosophischen Klassikern. Um 1900 wurde die Edition von Kants Schriften von Wilhelm Dilthey (1833-1911) als Projekt an der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin initiiert. Der Vortrag wird in den Entstehungskontext dieses prestigeträchtigen Nationalprojektes einführen und folgende Fragen näher beleuchten: Wie ist das Verhältnis der Akademie-Ausgabe zu den Vorgängereditionen zu bewerten? Warum war um 1900 das Interesse groß, Kant zu edieren? Spiegeln sich innerphilosophische Debatten in der Editionstätigkeit wider oder ist sie ein Akt, der davon losgelöst agieren konnte? Welche politischen Entscheidungen wurden innerhalb der Akademie-Ausgabe getroffen und welchen Einfluss haben sie auf die Textkonstitution?
Mira Weidhaas (Wuppertal)
Wenn eine Edition vom Kanon abweicht – Zum Umgang mit Wilhelm Dörpfelds Urodyssee zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Dörpfeld zählte zu den bedeutendsten Archäologen seiner Zeit. Dennoch ist er, u.a. aufgrund seiner zuletzt kontrovers aufgenommenen Studien zu Homer, heute beinahe in Vergessenheit geraten. Zu diesen Studien zählt eine Ausgabe der homerischen Odyssee. Die Edition beinhaltet einen, mithilfe neu aufgestellter Parameter konstituierten, vom Kanon abweichenden Text der Urodyssee. Ziel ist es, die Textkonstitution der Edition sowie deren damalige fachwissenschaftliche Rezeption vor- und zur Diskussion zu stellen. Welchen Einfluss hatte die unkonventionelle Vorgehensweise des „Quereinsteigers“ auf die Rezeption? Welche Rolle spielten ggf. die Auswirkungen eines neu konstituierten, nicht kanonischen Textes auf die Forschung des frühen 20. Jh.?
Peter Orth (Köln)
Mittelalterliche Briefsammlungen als editorische Herausforderung
Im vergangenen Jahrzehnt hat die Erforschung besonders der lateinischen mittelalterlichen Briefsammlungen und der Ars dictaminis einen beachtlichen Aufschwung erfahren. Zahlreiche zwischen 2015 und 2018 publizierte Sammelbände dokumentieren die mannigfachen philologischen, historischen und literaturgeschichtlichen Fragestellungen, die an den Gegenstand herangetragen werden. Editorisch ist ein gewisses Ungleichgewicht unverkennbar: Während für unikal oder selten überlieferte Sammlungen wie die Briefe Wibalds von Stablo oder den Codex Udalrici zuletzt häufiger moderne Editionen entstanden sind, macht die editorische Erschließung der häufiger überlieferten Sammlungen (Ivo von Chartres, Hildebert von Lavardin, Petrus von Blois, Petrus de Vinea) vorderhand nur geringe Fortschritte. Am Beispiel der Briefe Hildeberts von Lavardin (gest. 1133) sollen die besonderen editorischen Herausforderungen einer massenhaft tradierten Sammlung und Strategien zu ihrer pragmatischen Bewältigung erörtert werden.