Daniel Speich Chassé  Karolin Wetjen (Sektionsleitung)

Umweltdebatten als Deutungskämpfe. Internationale Expertise seit dem 19. Jahrhundert

Abstract

Die aktuellen Diskussionen über den Klimawandel zeigen drastisch, wie umkämpft die Deutungshoheit über Umweltveränderungen ist. Doch nicht nur aktuelle umweltpolitische Auseinandersetzungen sind von Deutungskämpfen durchdrungen; vielmehr lässt sich in einer tiefergehenden historischen Untersuchung vergangener Debatten feststellen, dass stets verschiedene Akteurinnen und Akteure – seien es Naturwissenschaftler, Umweltschutzaktivisten oder Politiker – um Antworten und Expertisen zu Themen wie Klimaveränderungen, Artenschutz oder die Nutzung von Wasser rangen. Seit dem 19. Jahrhundert wurden mit der Vermittlung von Wissen über Umweltentwicklungen Fragen nach dem Überleben der Menschheit und zukünftiger Entwicklung verknüpft und so die besondere Relevanz dieses Themenfeldes betont bzw. infrage gestellt.
Eine besondere Bedeutung, so die Ausgangshypothese des hier vorgeschlagenen Panels, kommt in Deutungskämpfen Wissen und dessen medialer Vermittlung und Inszenierung zu. In einer Verbindung und Weiterentwicklung umwelthistorischer und wissensgeschichtlicher Forschungen soll deswegen der Fokus der hier vorgeschlagenen Sektion auf die Rolle von Akteurinnen und Akteuren gelegt werden, denen es einerseits gelang, Aufmerksamkeit für das Themenfeld Umwelt zu generieren, und sich andererseits in diesem Feld mit dem Verweis auf ihre besondere Expertise mit Deutungsmacht auszustatten und zu verorten. Dadurch soll erstens ein Beitrag zur Historisierung von Umweltdebatten geleistet und zweitens die Bedeutung von Wissen und Expertise in Deutungskämpfen theoretisch näher ausgeleuchtet werden.

Karolin Wetjen (Kassel)
Die drohende Apokalypse. Das wissenschaftliche Reden über Umweltprobleme seit dem 19. Jahrhundert

Die nachhaltige Nutzung von Ressourcen, der Schutz von Arten, die Notwendigkeit sauberer Luft oder das Auftreten von Wetter- und Klimaphänomenen wird spätestens seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert von zahllosen neugegründeten Umweltschutzvereinen und -verbänden propagiert. Der Vortrag untersucht die Rolle und Bedeutung von Experten in den verschiedenen von diesen Vereinigungen herausgegebenen Medien. Es soll dabei das Zusammenspiel von Expertise und medialer Aufmerksamkeit in der Vermittlung von Umweltproblemen und der Plausibilisierung drohender Zukunftsszenarien in den Blick genommen werden.

Daniel Speich Chassé  (Luzern)
Quantifizierungstechniken und die Verfestigung von Expertise in der globalen Umweltproblematik (19., 20. und 21. Jhd.)

In der langen Geschichte der globalen Umweltpolitik haben verschiedene Sachverhalte im Vordergrund gestanden wie z.B. die ökologische Qualität der Flusssysteme und Weltmeere, die Biodiversität, das Zerstörungspotenzial der Nukleartechnologie oder der Säuregrad des Regens. Doch heute dreht sich die weltweite Umweltpolitik fast ganz um die Klimaerwärmung. Der Vortrag blickt von dieser klimabezogenen Finalität her einerseits auf die Abfolge von Akteuren, Organisationen und Themen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Andererseits gilt das Interesse der numerischen Kommunikation. Die leitende These ist, dass weltumweltpolitische Fragen eine besondere Affinität zur Quantifizierung aufweisen.

Anna Katharina Wöbse (Gießen)
Wem gehört der Sumpf? Ökologisches Expertenwissen seit 1950

Seit den 1950er Jahren erhob die junge und international eng vernetzte Fachdisziplin der Ökologie ein wachsendes Mitspracherecht in Planung und Politik, das sich in internationalen Konventionen und neuen Schutzmodellen konkretisierte. Am Beispiel der sich radikal verändernden Lesarten von Mooren und Sümpfen, die inzwischen nicht mehr als Terrain der Armut oder des Niedergangs, sondern als Orte der Vielfalt und Resilienz präsentiert werden, soll gezeigt werden, wie sich die ökologische Interpretation von Natur und Umwelt in der öffentlichen Debatte und auf dem diplomatischen Parkett Raum verschaffte.

Simone Schleper (Maastricht)
Die ‚Umwelt des Menschen‘. Expertenstreit und Diplomatie bei der Stockholm Konferenz, 1972

Mit dem Aufkommen von global-ökologischen Programmen und der internationalen Umweltpolitik in den 1970er Jahren suchten Regierungsvertreter und Mitglieder von internationalen Organisationen zunehmend den Rat von Experten. Ökologen engagiert im Arten- und Landschaftsschützer, international vernetzt seit den 1930er Jahren, hofften sich in Stockholm als solche zu etablieren. In dem Vortrag wird ‚Umwelt‘ als ein umstrittener Begriff verstanden, in dessen Definition letztendlich ökonomische und sozialpolitische Erwägungen überwogen, was sich bis heute auf die Besetzung von Expertenpositionen auswirkt.

Simone Müller (München)
Kommentar