Rebekka von Mallinckrodt (Sektionsleitung)

Das Alte Reich und die Schweiz in globaler Perspektive

Abstract

Deutsche und eidgenössische Protagonisten nehmen in der Globalgeschichte sowohl als ForscherInnen als auch Forschungsobjekte eine zunehmend wichtige Rolle ein. In Bezug auf die Frühe Neuzeit wurde der Blick dabei weitaus häufiger nach außen gerichtet, d.h. – wegen der Kurzlebigkeit und geringen Anzahl frühneuzeitlicher deutscher Handelskompagnien und Kolonien – vor allem auf Angehörige europäischer Handelsgesellschaften aus dem Alten Reich und der Schweiz, auf deutsche Kaufleute, Reeder und Bankiers in den europäischen Handelsmetropolen, deutsche und Schweizer Forschungsreisende, Auswanderer, Abenteurer und PlantagenbesitzerInnen in Übersee.

Erst allmählich rückt die Frage in den Blick, ob bzw. inwiefern das Alte Reich und die Eidgenossenschaft selbst durch diese vielfachen globalen Erfahrungen verändert wurden und welche Auswirkungen globalgeschichtliche Zusammenhänge für die Erforschung des Reichs bzw. der Schweiz auf lokaler und territorialer Ebene haben. Am weitesten vorangeschritten sind hierbei Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte: So konnte zum Beispiel herausgearbeitet werden, dass das u.a. im Austausch für Sklaven gehandelte Leinen das mit Abstand wichtigste frühneuzeitliche deutsche Exportgut war, die arbeitsintensive Herstellung tausende Beschäftigte in Lohn setzte bzw. mit zusätzlichem Einkommen versorgte, deren gesteigerte Kaufkraft zu einem deutlichen Bevölkerungswachstum im 18. Jahrhundert führte. In einigen proto-industriellen Regionen verbesserten sich die Lebensbedingungen in dem Maße, dass auch breiteren Bevölkerungsschichten der Erwerb zuvor unerschwinglicher Luxusgüter wie Zucker und Kaffee möglich wurde.

Für viele andere Bereiche stehen solche Untersuchungen noch aus. Vor dem Hintergrund dieser Forschungslage fragen wir nach den Rückwirkungen der frühneuzeitlichen Globalisierung auf das Alte Reich und die Eidgenossenschaft und stellen zugleich neue Beispiele, Felder und Aspekte dieses Prozesses vor.

Ulinka Rublack (Cambridge)
Philipp Hainhofers (1578–1647) globale Welten

Der Vortrag untersucht den deutschen Markt für globale Raritäten um 1600. In Bezug auf den Anthropologen Alfred Gell wird aufgezeigt, inwiefern gedruckte Reiseberichte einen „agentiven Nexus“ in Deutschland bildeten, der die Wertigkeit und Präsenz globaler Güter mit kultureller Bedeutung versah. Sammeln war keineswegs eine Anhäufung für die Welt der Stuben. Eine Analyse der Korrespondenz des Kunstagenten Philipp Hainhofers verdeutlicht, inwiefern Räume für Experimentierwissens mit globalen Materialien entstanden.

Renate Dürr (Tübingen)
Nürnberg als Nullmeridian – Böhmen auf den Marianen: Globale Wissenszirkulation und (proto)-koloniale Identitätsdiskurse in Joseph Stöcklein’s (1675–1733) Neuer Welt-Bott

Dürr stellt mit Joseph Stöckleins (1675-1733) Neue[m] Welt-Bott eine Sammlung von jesuitischen Missionsberichten und Traktaten vor, die im 18. Jahrhundert über die Konfessionsgrenzen hinweg bekannt geworden ist. Ein zentrales Anliegen des Grazer Jesuiten bestand darin, den deutschen Beitrag an der europäischen Expansion deutlich zu machen und zu feiern. Vor dem Hintergrund neuerer Forschungen zu den globalen Dimensionen frühneuzeitlicher deutscher Geschichte wird der Vortrag darum die Frage aufwerfen, ob und inwieweit Stöckleins Welt-Bottals (proto)-kolonialistischer Identitätsdiskurs interpretiert werden kann.

Susanna Burghartz (Basel)
Ökonomie, Krieg und Kommunikation. Globale und lokale Verflechtungen der Basler Elite im 18. Jahrhundert

Susanna Burghartz fragt nach der direkten und indirekten Beteiligung von Baslern an englischen, niederländischen oder dänischen Kolonialunternehmen und den Rückwirkungen der von ihnen gemachten Erfahrungen auf die städtische Ökonomie und Gesellschaft. Anhand ausgewählter Fallbeispiele sollen die Auswirkungen der frühen Globalisierung auf die größte eidgenössische Stadt des 18. Jahrhunderts untersucht und danach gefragt werden, welchen Erklärungswert das von Sven Beckert etablierte Konzept des „Kriegskapitalismus für das Basler Beispiel hat.

Rebekka von Mallinckrodt (Bremen)
Aktualisierung und/oder Transformation des Rechts? Ansichten deutscher Juristen zur Frage der Sklaverei im Alten Reich

Rebekka v. Mallinckrodt analysiert die Ansichten deutscher Juristen zur Frage der Sklaverei im Alten Reich. Das Heilige Römische Reich kannte zwar weder Plantagensklaverei noch einen „Code noir“, doch brachten deutsche Angehörige europäischer Handelskompagnien, Diplomaten, Handelsvertreter als auch einzelne Reisende regelmäßig als Sklaven gekaufte Menschen mit. Letztere wurden weder durch Betreten des Reiches noch durch die Taufe automatisch frei, sondern behielten teilweise nachweislich ihren Sklavenstatus. Der Vortrag geht der Frage nach, ob durch diese erzwungene Migration eine Transformation des Rechts beobachtet werden kann.