Reinhild Kreis Annette Kehnel (Sektionsleitung)

Borgen, Nutzen, Selbermachen. Versorgungsstrategien im Widerstreit konfligierender Ordnungsvorstellungen, 1300–2000

Abstract

Wie Menschen sich mit Gütern und Dienstleistungen versorgen, ob sie kaufen, Schulden machen, Gemeinschaftsgüter nutzen, zur Eigenproduktion schreiten oder schenken, ist keine Privatsache. Versorgungsstrategien waren stets moral economies, in denen sich ökonomisches Handeln, individuelle und kollektive Wertvorstellungen durchdrangen. Wie Haushalte Zeit, Geld, Rohstoffe und Waren einsetzten, wer darauf Zugriff haben und welcher Logik ihr Einsatz folgen sollte, war umstritten und umkämpft, sodass Fragen des Wirtschaftens immer auch Auseinandersetzungen über die Ordnung des Sozialen waren. Die Sektion untersucht Konflikte über Versorgungsstrategien im zeitlichen Längsschnitt, um epochenübergreifend ihre zentrale Bedeutung bei der Ausgestaltung sozialer und wirtschaftlicher Ordnungen herauszuarbeiten. Die Vorträge setzen in Umbruchszeiten an, in denen bisherige Versorgungs- strategien in Frage standen. Zur Diskussion stehen jeweils Fragen des Ressourceneinsatzes von Haushalten bzw. Haushaltsmitgliedern, und dessen Bedeutung für das Wohlergehen der Gesellschaft insgesamt und der Verantwortung des einzelnen Haushaltes. Mit dieser Perspektive führt die Sektion methodisch-theoretische Ansätze und Kategorien zusammen, die innerhalb der jeweiligen Epochendisziplinen intensiv diskutiert, deren Potenziale aber nur selten epochenübergreifend und bezogen auf ein klar umgrenztes Untersuchungsfeld ausgelotet werden. Vier Ansätze stehen im Vordergrund: 1. Moral economy und die wechselseitige Durchdringung moralischer, sozialer und wirtschaftlicher Ordnungen; 2. Praktiken des Vergleichens als Grundlage einer jeden Auseinandersetzung um Versorgungsstrategien, die stets auf verschiedenen Ebenen miteinander verglichen werden; 3. dinggeschichtliche Ansätze, die die Zusammenhänge zwischen materiell-stofflicher Dingwelt und dem Sozialen betonen; 4. praxistheoretische Ansätze, die Praktiken an der Schnittstelle von körpergebundenen Tätigkeiten, sozialer Ordnung sowie Identität verorten.

Annette Kehnel (Mannheim)
Sharing economy – eine ideale Versorgungsstrategie für mobile, urbane Lebensstile. Konzepte aus dem 13. Jahrhundert

Annette Kehnel stellt vormoderne Konzepte der sharing economy in wirtschaftsethischen Schriften des späten 13. Jahrhunderts vor und diskutiert sie unter dem Stichwort der pluralen Ökonomien. Vor allem medikantische Kreise propagierten eine absolut reduzierte Form von Nutzungs- und Zugriffsrechten auf Güter ohne Rechtsansprüche oder Verpflichtungen. Sie argumentierten radikal aus der Bedürfnisperspektive, da in ihrem urbanen mobilen Lebensstil die Nachteile von Eigentum überwogen.

Daniel Schläppi (Bern)
„Eine derer trefflichsten Wissenschafften“. Gutes Haushalten gut versorgter Haushalte als ökonomische Grundlage der Gemeinwirtschaft

Daniel Schläppi zeigt Konflikte zwischen dem Hausen der Einzelnen und der Ökonomie der Gemeinschaft, der Gemeinwirtschaft, in Zug (Schweiz) im 17./18. Jahrhundert. Nur wer seine Subsistenz selbst bestreiten konnte, erhielt Zuwendungen aus den städtischen Gütern, denn der auskömmliche Haushalt galt das ökonomische Fundament der Gemeinde. Die Auseinandersetzungen um die Verteilung der Armenlasten zeigen Subsistenz und Auskömmlichkeit als verhandelbare Kategorien und politische Größen.

Matthias Ruoss (Bern/Zürich)
Umkämpfte Schlüsselgewalt. Dynamiken des Geschlechterregimes im liberalen Kapitalismus (1840 bis 1914)

Matthias Ruoss untersucht Ratenkäufe in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie verwickelten wachsende Kreise der Bevölkerung in Kaufbeziehungen, störten bisherige Konsummuster und destabilisierten die gesellschaftliche Ordnung. Der Beitrag zeigt die damit einher gehenden rechtlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformationen, v.a. mit Blick auf die Rolle von Ehefrauen als Konsumentinnen, und somit die „Dynamiken des Geschlechterregimes im liberalen Kapitalismus“.

Reinhild Kreis (Siegen)
Zeit oder Geld? Die moral economy häuslicher Versorgungsstrategien im Konsumzeitalter

Reinhild Kreis untersucht Versorgungsstrategien zwischen „Make or Buy?“ in Privathaushalten im 20. Jahrhundert. Wachsende Konsummöglichkeiten führten zu Auseinandersetzungen, wie Haushalte Zeit, Geld und Material einsetzen sollten. Selbermachen und Kaufen standen für unterschiedliche Vorstellungen sozialer und wirtschaftlicher Ordnung. Sie waren an den Ressourcengebrauch sozialer Gruppen gekoppelt, die v.a. entlang der Kategorien von Geschlecht, Schicht und Generation definiert wurden.

Ute Frevert (Berlin)
Kommentar