Katrin Hammerstein Marie Muschalek (Sektionsleitung)

(Be-)Deutungskämpfe? Provenienzforschung, ihre Teilbereiche und die Geschichtswissenschaft

Abstract

Die Provenienzforschung hat in den letzten Jahren verstärkt öffentliche Beachtung gefunden: Neben Berichten über das Auffinden und die Rückerstattung von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken wird in den Medien vor allem auch die Rückgabe kolonialen Raubguts thematisiert und debattiert, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Einrichtung des Humboldt-Forums. Mit der Untersuchung von Kulturgutentziehungen in der SBZ/DDR ist ein weiteres Feld hinzugekommen. In allen Teilbereichen zielt die Provenienzforschung auf einen angemessenen Umgang mit unrechtmäßig entzogenem Kulturgut, insbesondere auf dessen Restitution. Grundlage dafür ist die Erforschung der Herkunft der Objekte und ihrer Besitzgeschichte unter Einbeziehung historischer Quellen. Obwohl die Provenienzforschung auch insofern ein genuin historisches Thema ist, als es dabei um die konkrete Aufarbeitung historischen Unrechts geht, hat sie bislang wenig Niederschlag in der Geschichtswissenschaft gefunden. Auch scheint es nur selten zu einem Austausch zwischen den einzelnen Forschungszweigen zu kommen. Die Sektion hat daher zwei Anliegen: Zum einen sollen die verschiedenen Bereiche der Provenienzforschung (Kolonialismus, Nationalsozialismus, SBZ/DDR) zusammen betrachtet und mögliche Synergieeffekte, aber auch eventuelle Konfliktpotentiale diskutiert werden. Zum anderen soll das Thema Provenienzforschung stärker in die historische Disziplin hineingetragen und nach Potentialen für die Geschichtswissenschaft gefragt werden: Was können Historiker*innen von der Provenienzforschung lernen, was können diese aber auch aus ihrem Wissensbestand zur Provenienzforschung beitragen? Welche Wechselwirkungen gibt es und welche wären wünschenswert? Hierfür bringt die Sektion in einem interdisziplinären Panel Fachwissenschaftler*innen aus dem Bereich der Geschichtswissenschaft, der Kunstgeschichte, der Ethnologie sowie dem Archiv- und dem Museumswesen zusammen, die auch praktisch in der Provenienzforschung tätig sind.

Marie Muschalek (Freiburg im Breisgau)
Moderation
Jan Scheunemann (Halle an der Saale)
Bodenreform – Aktion "Licht" – Enteignung privater Kunstsammler. Kulturgutentziehungen in der SBZ und DDR

Der Vortrag gibt einen Überblick über die verschiedenen Entziehungskontexte von Kunst- und Kulturgut in der SBZ und DDR: von den im Zuge der Bodenreform 1945 durchgeführten „Schlossbergungen“, die im Januar 1962 vom Ministerium für Staatssicherheit organisierte „Aktion Licht“ bis hin zu konstruierten Steuerverfahren zur Enteignung privater Kunstsammler in den 1970er und 1980er Jahren. Dabei wird auch auf die Geschäftspraktiken der Kunst und Antiquitäten GmbH eingegangen, die Kunstwerke zur Gewinnung von Devisen auf dem internationalen Kunstmarkt veräußert.

Kristin Weber-Sinn  (Berlin)
Perspektiven einer postkolonialen Provenienzforschung – Kooperation, Dekolonisierung und die Persistenz kolonialer Wissensordnungen
Ulrike Saß (Bonn)
Unter Freunden. Der Kunsthändler Wilhelm Grosshennig und sein Netzwerk

In dem Vortrag wird die Frage gestellt, inwiefern persönliche Netzwerke und politische Gegebenheiten die Handelstätigkeit von Wilhelm Grosshennig beeinflussten. Zentral ist dabei der Blick auf seine Geschäftskontakte während und nach dem Nationalsozialismus und die daraus resultierenden beruflichen Möglichkeiten. Es wird deutlich werden, wie die Provenienzforschung Erkenntnisse zu den Netzwerken des Kunstmarktes liefert und autobiografische Erzählungen der Akteure verifizieren und falsifizieren kann.

Katrin Hammerstein (Stuttgart)
Grundlagenforschung (nicht nur) für die Provenienzforschung. Anmerkungen zu einem Quellenerschließungsprojekt des Landesarchivs Baden-Württemberg

Der Vortrag gibt einen Einblick in das Provenienzforschungsprojekt des Landesarchivs Baden-Württemberg, das die Erstellung eines sachthematischen Inventars zum Ziel hat. Als Online-Findmittel soll dieses der Provenienzforschung zur Verfügung stehen, sowohl für Recherchen zu in der NS-Zeit geraubten, beschlagnahmten oder zwangsveräußerten Objekten und (soweit bekannt) den jeweiligen Künstler*innen als auch für Forschungen zu den geschädigten Personen und den in die Entziehungsvorgänge involvierten Kunsthändlern. Zugleich bietet das Inventar, wie gezeigt werden wird, nicht zu unterschätzende Anknüpfungspunkte für geschichtswissenschaftliche Fragestellungen und historische Forschungsvorhaben.

Uwe Hartmann (Magdeburg)
Kommentar