Dorothea Weltecke (Chair of the panel)

Visualisation of Historical Data – Chances and Risks

Dorothea Weltecke (Frankfurt am Main) Ralph Barczok (Frankfurt am Main)
Vielfalt sichtbar machen – zur multireligiösen Topographie des Mittelalters

In den mittelalterlichen Jahrhunderten lebten sehr viel öfter Angehörige unterschiedlicher Religionen zusammen als früher beachtet. Die historischen Karten stellen dies bisher nicht dar. Sie bleiben daher hinter dem Stand der historischen Forschung. Hier sollen deshalb am Beispiel der Visualisierung von Gruppen von Juden in Städten des lateinischen Mittelalters und von Juden, Christen und Muslimen in muslimischen Städten vor allem Chancen der Visualisierung vorgestellt werden: Regionale Ereignisse zeigen sich in einem größeren Zusammenhang. Bei der Erstellung von Datenbanken zeigen sich historische Fragen und Probleme der Quellenkritik in einem anderen Licht. Geographische Regionen kommen in den Blick, die bisher nicht untersucht wurden. Neue Erkenntnisse zur Dynamik des multireligiösen Zusammenlebens werden möglich, die zu einem besseren Verständnis auch der sozialen Beziehungen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen führen. Die Arbeit an einer Datenbank und ihrer Visualisierung produziert über die Herstellung der Daten hinaus historische Erkenntnisse, die allerdings wieder in einem linearen Text ausgewertet werden müssen.

Steffen Koch (Stuttgart)
Interaktive Visualisierung von geschichtswissenschaftlichen Daten – Chancen und Risiken

Aus vielen Bereichen der Natur- und Ingenieurwissenschaften ist die computergestützte Datenvisualisierung nicht mehr wegzudenken. Mit der zunehmenden Digitalisierung von Quellen und Erfassung von Daten für geistes- und nicht zuletzt geschichtswissenschaftliche Vorhaben wird interaktive Visualisierung ein nützliches Forschungsinstrument. Dieser Beitrag erläutert Ideen der interaktiven Datenvisualisierung, angefangen von Überlegungen zur automatischen visuellen Repräsentation abstrakter Daten bis hin zur Nutzung interaktiver Verfahren für die visuelle Analyse komplexer Datenbestände. Dazu werden interaktive Visualisierungsansätze von multireligiösem Zusammenleben in Städten des mittelalterlichen Nahen Ostens und zur transatlantischen Verbreitung von Zeitungsnachrichten im Zeitraum 1840-1914 (Oceanic Exchanges Projekt) vorgestellt. Ein Schwerpunkt des Beitrags liegt auf der Integration von abstrakten Datenaspekten mit geografischem Bezug. Durch die geeignete Kombination von interaktiven Filter- und Auswahlmöglichkeiten können flexibel Fragestellungen beantwortet und Hypothesen überprüft werden. Abschließend werden die Rahmenbedingungen, unter denen solche Verfahren für die historische Forschung erfolgreich sein können, sowie damit verbundene Chancen und Risiken diskutiert.

Kurt Franz (Tübingen)
Das Auge denkt mit. Ästhetik und historisch-kritische Kartographie am Beispiel der nahöstlichen Kreuzfahrerburgen (1260–1335)

Historische Kartographie gilt als Visualisierungsstrategie par excellence, wenn es um die räumliche Verfasstheit von Sachverhalten geht. Allerdings besteht zwischen Kartenmacher und Kartenleser eine problematische Sender-Empfänger-Beziehung: Der Einsatz von Karten beruht auf anbieterseitigen Vorannahmen über visuell-kognitive Mechanismen auf der Nutzerseite, die alsdann ein ästhetisch-didaktisches Programm begründen – Verständlichkeit und Gefälligkeit des Kartenbildes sollen erlauben, den Kartengegenstand besser zu durchdringen als mit anderen Mitteln. Zwar wären die Epistemologie und Methodologie dieser Vermittlung begründungspflichtig, doch werden sie kaum offengelegt. Vielmehr entziehen sich die Produkte einer solchermaßen „stummen“ historischen Kartographie der intersubjektiven Nachprüfung. Wie lassen sich hingegen kartenförmige Visualisierungen erreichen, die trotz Komplexität und blitzartiger kognitiver Abläufe eine Betrachtung von Karten im Bewusstsein ihrer Konstruiertheit und Begrenztheit begünstigen? Dass ein reflektierter Ansatz möglich ist, haben vor allem Vertreter der älteren Kartographie bewiesen, wie erstens anhand von Karten H. Kieperts, Barringtons und des Bayerischen Schulatlas gezeigt werden kann. Zweitens werden Wege zu einer heutigen historisch-kritischen Kartographie vorgestellt. Als Fallbeispiel dienen die Burgen der Kreuzfahrer in der Levante, insbesondere in frühmamlūkischer Zeit; forschungspraktisch werden an eigenen Karten die Möglichkeiten Geographischer Informationssysteme diskutiert.

Stefan Jänicke (Odense)
Visualisierungsdesign in den digitalen Geisteswissenschaften

Die Visualisierung als Forschungsinstrument für die Digital Humanities hat in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen und bringt den beteiligten Forschungsbereichen beiderseitigen Nutzen. Einerseits liefern Visualisierungen einen intuitiven Zugang zu riesigen digitalisierten Datenmengen, andererseits stellen die von Natur aus meist unvollständigen, inhomogenen und unsicheren historischen Daten die Visualisierungsforschung vor neue Herausforderungen. Die beste Vorgehensweise bei der Entwicklung einer Visualisierung in einem Digital Humanities Projekt ist ein problemorientierter, benutzerzentrierter Designansatz, der Wissenschaftler beider Fachrichtungen zwingt, sich intensiv mit Forschungsinteressen, Aufgaben und Problemen beider Parteien auseinanderzusetzen. Darüber hinaus erhöht der starke interdisziplinäre Austausch die Wahrscheinlichkeit, dass die resultierende Visualisierung dem avisierten Zweck dient und den Boden für zukünftige Forschungsprojekte bereitet. Ich werde über Kooperationserfahrungen und Ergebnisse aus verschiedenen DH Projekten berichten. Ein Hauptfokus soll dabei die Abbildung geografischer Daten bilden und den Umgang mit Unsicherheiten diskutieren. Des Weiteren stelle ich ein Projekt vor, bei dem Verzerrungen auf historischem Kartenmaterial visualisiert werden und somit einen Einblick in die Wahrnehmung von Geographie in verschiedenen Zeitaltern ermöglichen. Dabei wird eine historische Karte mit einer kontemporären Karte verknüpft und die explorative Analyse gefalteter, unter- sowie überrepräsentierter Regionen unterstützt.