Martin H. Geyer Nicolai Hannig (Chair of the panel)

Streets in States of Emergency. Occupation, Resistance, and Violence in the 20th Century

Abstract

The current street unrest worldwide is spectacular. In its most radical form of intensification, protesters articulate their complaints and demands to a point that provokes the state and its authorities to declare a state of exception. However, the same can be said for the other side, for there is no doubt that measures implemented under the state of exception are used not only to pacify or calm a situation but may indeed instigate a spiral of escalation.
This section examines the historical roots of such developments since the late nineteenth century. First, our presentations analyze the street as a space of violent resistance, as a stage for demonstrating (counteracting) order and (counteracting) power. Second, we concentrate on the time period of modern colonialism and ask in what way and with what effect states applied the political instrument of the state of exception in domestic conflicts, also outside of their colonies. Of particular interest here are, third, the use of martial law and its various forms of siege and the new security laws connected to the state of exception that had emerged since the First World War. Fourth, we analyze behavior during states of exception and the impact it had on the use of force.
We suggest that strategies of both offensive and defensive street mobilization developed in a dialectical relationship to one another, and must be understood in terms of the state of exception. As a result of protests, street fighting, and public punitive rituals, certain “state of exception mentalities” ensued that then established themselves as habitual norms. These included forms of vigilantism as well as revolts against state and colonial power, police and military.

Martin H. Geyer (München) Nicolai Hannig (Darmstadt)
Einführung zu Straßen im Ausnahmezustand
Martin H. Geyer (München)
Umkämpfte Straßen und Ausnahmezustandsmentalitäten nach dem Ende des Ersten Weltkriegs

Die Revolution zeigte, wie sehr Straßen umkämpfte Räume waren. Weltweit bilanzierten Sicherheitsorgane die zurückliegenden Ereignisse und suchten nach neuen präventiven Maßnahmen unter den Bedingungen des Ausnahmezustands. Strategien der offensiven wie defensiven Straßenmobilisierung und Vigilanz in Verbindung mit Propaganda entwickelten sich in einem dialektischen Verhältnis. Von besonderem Interesse ist die Herausbildung spezifischer Ausnahmezustandsmentalitäten, in denen sich Praxen der Aufstands- und Protestbekämpfung als habituelle Normen verfestigten.

Nicolai Hannig (Darmstadt)
Straßen der Strafe. Gewalt, Überwachung und Feme im „Ruhrkampf“

Der Vortrag untersucht die Straßengewalt während der Ruhrbesetzung. Im Ausnahmenzustand der Besatzung entstanden in den Jahren 1923 bis 1925 Überwachungskonkurrenzen zwischen Besatzern und Besetzten, Zuständigkeiten der Exekutive verunklarten sich. Die Straße entwickelte sich nicht nur zum Raum des Widerstands und gewalttätiger Besatzungskonflikte, so die These. Sie wurde zum Schauplatz von Selbstjustiz, die vermeintliche Ehrverletzungen und Kollaborationen ahndete. Dabei brachte der Ausnahmezustand traditionelle Strafrituale hervor, die an Femegerichte früherer Jahrhunderte anknüpften.

Tanja Bührer (Bern)
Aufruhr und Ausnahmezustand im kolonialen öffentlichen Raum: Das Massaker von Amritsar 1919

Am 13. April 1919 schossen britische Soldaten in einem Park der nordindischen Stadt Amritsar auf demonstrierende Sikhs, Muslime und Hindus, darunter auch Frauen und Kinder. Das „Massaker von Amritsar“ trug zum Ende der britischen Herrschaft in Indien bei, da es die nationalen Unabhängigkeitsbewegungen geradezu beflügelte. Die gewaltsame kolonialherrschaftliche Antwort wurde aber selbst von konservativen britischen Politikern scharf kritisiert. Sie erachteten nicht nur die ungeheure Anzahl von Toten und Verletzten für außerordentlich, sondern auch die eigentliche Bestimmung des angewendeten Kriegsrechts für weit verfehlt. Der Vortrag ordnet das Massaker von Amritsar in die britische und koloniale Vorgeschichte der politischen Proteste und der Verhängung des Ausnahmezustandes im öffentlichen Raum ein und gibt einen kurzen Ausblick auf seine Folgen auf die britisch-indischen Beziehungen bis heute.

Julia Wambach (Berlin)
Besatzung als Ausnahmezustand. Kollaboration und Widerstand in der französischen Zone 1945-49

Kollaboration und Widerstand werden meist in Verbindung gebracht mit den Ausnahmezuständen und Zivilkriegen während der Besatzung der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg, insbesondere auch in Frankreich. Der Vortrag erweitert diesen Zusammenhang und fragt, welche Rolle Kollaboration und Widerstand während der französischen Besatzung Südwestdeutschlands spielten. Dabei geht es vor allem darum, zu zeigen, welchen Einfluss die Erfahrungen mit und Vorstellungen von Kollaboration und Widerstand aus der langen Geschichte der deutsch-französischen Besatzungen auf diese letzte Besatzung zwischen den beiden Ländern hatten.