Teresa Huhle Katharina Schembs (Chair of the panel)

Spatial Conceptualizations and Regional Planning in Latin America (19th and 20th Century)

Abstract

Since the late 1980s, the spatial turn has encouraged the historical sciences to conceive of spatial entities not as given but to analyze the construction of geographical, political and social spaces instead. This section consists of five papers on Latin American history which follow this theoretical approach by looking into “the production of imagined and effective geopolitical entities” (Epple 2017). All papers focus on the state as the producer of these entities. The section is based on the premise that processes of nation-building in Latin America and imaginations of a Latin American unity were deeply intertwined with contested constructions of political, social and symbolical spaces since the early 19th century. By centering on different interpretations of historically constructed spaces and their disputed boundaries, we contribute to the conference theme of the 53rd Convention of German Historians, “conflicting interpretations”. In our period of investigation (1860s to 1960s) conflicting interpretations arose because the state and societal elites rarely appeared as homogenous actors. Also, spatial conceptualizations and planning projects by the state were often challenged by subaltern groups. Within the umbrella concept of space, we discuss two main research perspectives in our section: One group of papers will provide analyses of how the cultural space Latin America or individual Latin American states have been situated in larger imagined spatial entities, like the transatlantic, or the ‘West’. The second group of contributions considers the interior of nation-states and analyzes how the state extended its territorial control through infrastructure projects, and thereby ‘civilized’ regions that parts of the Latin American elites conceived of as ‘barbaric’.

Antonio Carbone (Rom)
Imaginierte Städte: Vorstellungen der modernen Stadt in Buenos Aires in den 1860er und -70er Jahren

In den 1860er und -70er Jahren wurde Buenos Aires von einer Serie von Epidemien heimgesucht. Die Suche nach Erklärungen und Lösungen für diese Seuchen entfachte unter den hauptstädtischen Eliten Argentiniens eine Diskussion, die in einen regelrechten Deutungskampf über die Modernisierung des städtischen Raums mündete. Der Vortrag analysiert diese Debatten und zeigt, wie vielfältig Ideen und Vorstellungen von moderner und „zivilisierter“ Stadt waren und wie ambivalent die damit einhergehenden Referenzen auf eine europäisch gefasste Moderne waren.

Teresa Huhle (Köln)
Sozialpolitik als zivilisatorische Messlatte: Geopolitische Selbstverortungen im ‚Modellland‘ Uruguay im frühen 20. Jahrhundert

Ein umfangreiches Reformprojekt bescherte der kleinen Republik Uruguay zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Ruf des ersten lateinamerikanischen Wohlfahrtsstaates. Das lag an zahlreichen gesetzlichen Neuerungen, aber auch daran, dass die uruguayischen Reformer*innen diese kontinuierlich vor internationalem Publikum als besonders fortschrittlich und ‚zivilisiert‘ präsentierten. Räumliche Selbstverortungen spielten dabei eine zentrale Rolle, sei es, um Uruguays Zugehörigkeit zu einer modernen transatlantischen Welt oder die Entfernung zu vermeintlich weniger ‚entwickelten‘ lateinamerikanischen Nachbarn zu unterstreichen.

Frederik Schulze (Münster)
Umkämpfte Peripherien: Staat, Staudammbau und Zivilgesellschaft in Lateinamerikas 20. Jahrhundert

Im Rahmen der globalen Entwicklungspolitik im Kalten Krieg kam es zu Deutungskonflikten über nationalstaatliche Raumvorstellungen und räumliche Durchdringungsprojekte. In Lateinamerika entzündeten sich solche Konflikte vor allem an Staudämmen, die oft in peripheren Gebieten gebaut wurden, die in den Augen der Eliten wirtschaftlich für die Nation in Wert gesetzt werden sollten. Der Beitrag beleuchtet die daraus resultierenden Deutungskämpfe um nationale Räume, Regionen und Moderne, die zu gesellschaftlichen und diskursiven Verschiebungen führten und nicht zuletzt die Modernisierungsdiskurse des Kalten Krieg zu erschüttern imstande waren.

Georg Fischer  (Aarhus)
Projektionsraum Savanne. Agrarkolonisierung und modernisierte Landschaft in Südamerika, 1950–1985

Savannen standen im Mittelpunkt der landwirtschaftlichen Entwicklungsprojekte, die lateinamerikanische Staaten seit den 1950er Jahren implementierten. Sie wurden als Laboratorien für gesellschaftliche und ökologische Transformationsprozesse angesehen, in denen nationale und transnationale Akteure Elemente “moderner” staatlicher und ökonomischer Ordnung kombinierten. Der Vortrag untersucht anhand von Fallbeispielen aus Bolivien und Brasilien die Raumvorstellungen und normativen Gesellschaftsbilder, die sich in einer spezifischen Form der staatlichen Raumordnungspolitik – der modernen Agrarkolonie – niederschlugen.

Katharina Schembs (Köln)
‚Die Erfindung‘ der lateinamerikanischen Stadt. Stadtplanung in Lateinamerika in den 1960er und -70er Jahren

Die 1960er Jahre stellten einen Wendepunkt in der lateinamerikanischen Stadtplanung dar. Während bis dato urbanistische Modelle vorrangig aus Europa und den USA importiert worden waren, besann man sich nun vielmehr auf die vermeintlichen Eigenheiten lateinamerikanischer Städte. Zusätzlich begannen Stadtplaner*innen der Region im Rahmen des aufkommenden Dritte-Welt-Diskurses auf strukturelle Gemeinsamkeiten mit anderen Städten des Globalen Südens aufmerksam zu machen. Anhand der Beispiele Chile, Brasilien und Mexiko vollzieht der Vortrag die anfängliche Planungseuphorie zu Beginn der 1960er Jahre bis hin zum fast vollständigen Rückzug des Staates aus der Stadtplanung in der Folgedekade nach.

Angelika Epple (Bielefeld)
Kommentar