Rüdiger Graf (Chair of the panel)

Like an Animal? Analogies and Distinctions between Animals and Humans in the 20th Century

Abstract

In her history of primatology, Donna Haraway criticized attempts to deduce knowledge concerning human societies from the observation of primates, emphasizing the social construction of scientific knowledge. While the latter has become widely acknowledged even beyond the feministically inspired cultural studies, there are still primatologists, ethologists or biologists claiming to explain human behavior by means of animal observations. From its beginnings and institutionalization as an autonomous discipline in the 20th century, ethology has been accompanied by the question if and in how far its results can be transferred onto human beings and societies. In other disciplines and broader public discourses as well, comparisons between humans and animals have frequently functioned as a device to determine our specifically human identity. Starting from this observation, the panel will analyze more systematically, in which ways scientific knowledge derived from the observation of animals was used in order to explain human behavior or social processes. In particular, the presentations will deal with criminology, the use of ethological and biological arguments in childcare and animalistic interpretations of economic behavior. To supplement these analyses, a fourth paper will scrutinize how anthropological categories increasingly influenced knowledge about animals. Thus, in contrast to the currently expanding human-animal-studies, this interdisciplinary session takes different approach, asking for the changing interpretation of human beings and societies by means of animal analogies.

Nina Verheyen (Essen/Köln)
Moderation
Georg Toepfer (Berlin)
Wie die Menschen! Wann und warum die Tiere im 20. Jahrhundert zu „Sprache“, „Geist“ und „Kultur“ fanden

Im Vortrag wird rekonstruiert, wie die großen Begriffe, die ehemals den Menschen als eine distinkte Spezies auszeichneten, im Laufe des 20. Jahrhunderts diese Funktion verloren haben: Die Kommunikation von Bienen wurde zur ›Sprache‹, die lokalen Traditionen von Schimpansen zur ›Kultur‹ und das intelligente Verhalten vieler Tiere zum Ausdruck von ›Geist‹. Nachdem auch andere Begriffe wie ›Sozialverhalten‹, ›Bewusstsein‹ und ›Freiheit‹ ihren Status als Distinktionskategorien verloren haben und der Mensch selbst als ein Tier verstanden wird, stellt sich die Frage, auf welcher begrifflichen Grundlage und in welchen Verfahren sich die noch immer herrschende Praxis der Distinktion entfaltet.

Rüdiger Graf (Potsdam)
Animal Spirits und Decision-Making Organisms. Tierische Perspektiven auf wirtschaftliches Verhalten.

Wo Ökonomen im 20. Jahrhundert nicht damit zufrieden waren, Modellrechnungen mit einem idealisierten, rationalen Nutzenmaxierer anzustellen, sondern das tatsächliche Verhalten wirtschaftender Menschen erklären wollten, griffen sie oft auf Erkenntnisse aus dem Tierreich zurück. Ausgehend von dieser Beobachtung wird die genaue Bedeutung von Tieranalogien und -experimenten für die Veränderung ökonomischen Wissens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts untersucht. Anhand von verhaltensökonomischen Theorien und biologistischen Erklärungen ökonomischer Wachstumsprozesse werden dabei der Wandel von Subjekt- und Rationalitätsvorstellungen diskutiert.

Marcus Böick (Bochum)
Das Tier im Täter: Kriminologische Diskurse über menschliches Gewaltverhalten

Spektakuläre Fälle extremer Gewaltverbrechen erzeugen in Öffentlichkeit und Politik ein intensives Bedürfnis nach rationalen Erklärungen für das scheinbar Irrationale. Tierisches Verhalten war dabei ein wichtiger Bezugspunkt: Lassen sich aus dem „Tierreich“ möglicherweise Rückschlüsse für menschliches Gewalt-Verhalten ziehen, bei dem das zivilisatorisch vermeintlich gezähmte „Tier im Menschen“ eruptiv an die Oberfläche bricht? Derlei Vorstellungen wirkten auch in kriminalistische Täter-Debatten hinein. An ausgewählten Beispielen soll der Stellenwert animalistisch-biologistischer Argumentationsweisen in kriminologischen Fachdiskursen im Laufe des 20. Jahrhunderts nachgezeichnet werden.

Sophia Gräfe (Marburg)
Streitfall Verhalten – Verhaltensbiologie zwischen Tierforschung und Sozialhygiene

In der DDR verlief die Auseinandersetzung um das „biologischen Substrat“ des Verhaltens unter besonderen Bedingungen, standen der Verhaltensbiologie dort materialistische Erklärungsmodelle von Persönlichkeit und Entwicklung entgegen, welche die Gesellschaft als entscheidenden Faktor für die Herausbildung von Verhaltensweisen annahmen. Der Vortrag zeichnet die politischen Konfliktlinien der Verhaltensbiologie zwischen 1960 und 1985 am Gegenstand kindlicher Verhaltensstörungen nach. Er thematisiert dabei Isolationsexperimente, die im Zusammenhang mit Fragen über die kollektiv-gesellschaftliche vs. familiäre Verantwortung für die Erziehung sowie die Prävention von Verhaltensanomalien standen.