Eva Haverkamp-Rott (Chair of the panel)

How Christians explain Judaism to Jews

Eva Haverkamp-Rott (München)
Einleitung
Israel Yuval (Jerusalem)
And the Rest is History: Schabbat versus Sonntag

Das Streben nach Ruhe ist zu einem universellen Menschenrecht geworden. Der Wert der Ruhe ist jedoch das Ergebnis eines langen historischen Prozesses, an dem Juden und Christen in der Antike und im Mittelalter teilnahmen. Von Anfang an hat das Christentum den Sonntag und nicht den Samstag als den wichtigsten Tag der Woche festgelegt. Die Christen übernahmen die heidnische Kritik an der jüdischen körperlichen Erholung am Schabbat, indem sie sie als “Trägheit” definierten. Im fünften und noch mehr im sechsten Jahrhundert wurde die Sonntagsruhe jedoch immer mehr durch das biblische Schabbat-Modell gerechtfertigt. Parallel zur Etablierung des Sonntags als Ruhetag gab es Trends, am Schabbat, bzw. Samstag, christliche Inhalte zu vermitteln. Die Einführung des Sonntags als obligatorischer Ruhetag wurde zu einer Bedrohung für die Einzigartigkeit des jüdischen Schabbats. Der Vortrag geht auch auf die Haltung der Juden gegenüber dieser Entwicklung und auf die von christlicher Seite formulierte Kritik am Schabbat ein.

Ulisse Cecini  (Barcelona)
Christen erklären Juden den Talmud. Lateinische Übersetzung und Verurteilung des jüdischen „mündlichen Gesetzes“ im 13. Jahrhundert

In den vierziger Jahren des 13. Jahrhunderts geriet der Talmud ins Zentrum der kirchlichen Aufmerksamkeit. Im Jahre 1239 hatte ein konvertierter Jude, Nicholas Donin aus La Rochelle, Papst Gregor IX. 35 Anklagepunkte gegen den Talmud präsentiert. Darauf folgte eine inquisitorielle Untersuchung in Paris, die in die Verurteilung des Talmud im Jahr 1240 und seine darauf folgende öffentliche Verbrennung im Jahre 1241/2 mündete. Auf Bitten der Juden, das Urteil zu revidieren, gab der neue Papst, Innozenz IV., im Jahr 1245 eine systematische Übersetzung des Talmud ins Lateinische in Auftrag und ordnete eine erneute Untersuchung an, die 1248 mit der Bestätigung der Verurteilung von 1240 endete. Die 35 Anklagepunkte von Donin, und die 1922 übersetzten Passagen des Extractiones de Talmud genannten Korpus, sollten nicht nur zeigen, dass der Talmud u.a. blasphemische Passagen über Gott, Jesus, Maria und die Kirche enthielt, sondern auch beweisen, dass für die Juden das zweite, mündliche Gesetz“, d.h. der Talmud, größere Autorität besaß als die Bibel, das „schriftliche Gesetz“, wobei der Talmud, in der Deutung der Christen, der Bibel oft widerspreche. Anhand der ersten kritischen Edition der Extractiones de Talmud wird gezeigt, wie die christlichen Übersetzer den Text präsentierten und deuteten, um ihre Perspektive zu verteidigen.

Robert Jütte (Stuttgart)
Die Beschneidung: Eine jüdische Tradition im Spannungsfeld von Selbstbehauptung und Fremdbestimmung

Nicht erst seit dem Urteil des Kölner Landgerichts vom 7. Mai 2012 zum religiösen Ritual der Beschneidung von Jungen ist sichtbar geworden, dass sogar der in blutigen, jahrhundertelangen Kämpfen errungenen Religionsfreiheit plötzlich Grenzen gesetzt werden sollen, weil andere Rechtsgüter (z. B. Kindeswohl) angeblich höherwertig sind. Dabei ist auch eine Deutungshoheit über richtig und falsch impliziert. Blickt man in die Vergangenheit zurück, so fällt auf, dass hier nicht zum ersten Mal von nicht-jüdischer Seite ein mosaisches Gebot interpretiert und gedeutet wird, wobei jeweils zeitgenössische ethisch-moralische und rechtliche Maßstäbe der Mehrheitsgesellschaft zugrundgelegt werden. Gab es Phasen, in denen die Beschneidung als „fortschrittlich“ mit Blick auf die Gesundheitsprophylaxe gedeutet wurde, so befinden wir uns mittlerweile in einer Zeit, in der dieses Ritual nicht mehr als modern, ja im Gegenteil als atavistisch und mit den Mensch- und Grundrechten nicht mehr vereinbar gilt. In diesem Vortrag soll versucht werden, Brüche und Kontinuitäten in der Beschneidungsdebatte herauszuarbeiten, wobei ein zeitlicher Bogen vom Mittelalter bis in die Gegenwart geschlagen wird.

Andreas Brämer (Hamburg)
Tierschutzrecht und religiöse Schlachtpraxis. Schächten als umstrittenes Ritual in der jungen Bundesrepublik (1949–1965)

Gegen das Schächten formiert sich derzeit ein Protest, der nicht zuletzt für migrationspolitische Ziele instrumentalisiert wird. Der Eindruck eines neuen Widerspruchs aus der Mitte der Gesellschaft verkennt freilich, dass um die von Juden praktizierte Ritualschlachtung bereits in der Nachkriegszeit politische, juristische und gesellschaftliche Konflikte ausgetragen worden waren, die später weitgehend in Vergessenheit gerieten. Eine tragende Rolle in der Auseinandersetzung spielte der organisierte Tierschutz, der schon im 19. Jahrhundert gegen die Schechita Front gemacht hatte. Die wieder- oder neugegründeten Tierschutzverbände erkoren ihren Widerstand gegen die jüdische Schlachtmethode zeitnah nach der Befreiung erneut zu einem zentralen Anliegen ihres Engagements. In seinem Vortrag widmet Andreas Brämer seine Aufmerksamkeit den Diskussionen um die Koscherschlachtung in den Jahren nach der Gründung der Bundesrepublik, als noch kaum muslimische Zuwanderer in Deutschland lebten und sich der Streit über die Betäubungspflicht warmblütiger Tiere nahezu ausschließlich auf den gelebten Glauben der nur etwa 20-25.000 Menschen umfassenden jüdischen Gemeinschaft bezog. In den Mittelpunkt der Analyse rückt dabei die Beobachtung, dass der nichtjüdische Protest über eine bloße Ablehnung des Schächtens aus Tierschutzerwägungen hinausging, indem er die Deutungsfähigkeit und Deutungshoheit einer normativen Praxis des religiösen Judentums für sich reklamierte. Jüdinnen und Juden in Westdeutschland mussten sich also nicht nur mit dem Vorwurf der Tierquälerei auseinandersetzen, sondern wurden zudem mit einer historisierenden Auslegung ihrer Tradition konfrontiert, die auch an die antijüdische Bibelauslegung der protestantischen Universitätstheologie anknüpfte.