Anne-Charlott Trepp (Chair of the panel)

Future Knowledge and Religion. Competitive Practices and Discourses of Time and Temporality (1700–1900)

Abstract

The openness of the future and the associated freedom for manufacturing future times are considered privileges of modernity.However, in the face of competitive patterns of interpretation, freedom and optimism in shaping the future seem to be reaching their limits at the moment. While the future is beginning to transform itself into a technological vision of progress, it is imagined as an apocalyptic doomed scenario due to environmental damage and the climate catastrophe. Regardless of whether it is positive or negative, under the time regime of the threatened future, time itself seems to be shrinking more and more. Suddenly, the anticipated shortened future of this kind comes remarkably close to the prospect of the divine Last Judgement, which has already been overcome. In both concepts, man is addressed as accelerator of the available time. However, this means that thinking and acting in a predetermined future can no longer be limited to the ‘premodern’ with its traditional religious time models. Considering this reluctant handling of time and temporality, the section asks for competitive practices in the making of the future across the epochs. It will analyze the complex interweaving of time knowledge and religion. According to the main historiographical narrative, it is only the secularization of the future, in the course of the Enlightenment, that has enabled a drastic change in the conception of time and thus the development of an open action-oriented future. Consequently, religion does not appear or no longer appears as a tool for manufacturing the future.While there is nowadays a consensus in historiographical future research that manufacturing of future times cannot be regarded as a privilege of the modern age, the question of the importance of religion for conceptions of the future is still a blind spot. This desideratum is taken up by scholars of the sociology of religion and history gathered in the section. They will discuss the crucial role of religion for conceptions of the future between 1700 and 1900.

Anne-Charlott Trepp (Kassel) Lucian Hölscher (Bochum)
Einführung
Anne-Charlott Trepp (Kassel)
„Von Stuffe, zu Stuffe steigen“. Fortschritt und Entwicklung von Mensch(heit) und Natur in bürgerlichen Selbstzeugnissen (18./frühes 19. Jh.)

In Auseinandersetzung mit Reinhart Kosellecks These von der Säkularisierung der Fortschrittsidee als Voraussetzung der sog. „Entdeckung der Zukunft“ im Sinne eines linearen, offenen Zeithorizonts beleuchtet der Vortrag Fortschritts- und Entwicklungserzählungen in bürgerlichen Milieus des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Das veränderte, neuartige Zeit- und Zukunftsbewusstsein gilt in der Selbstzeugnis¬forschung entsprechend des „Controlling Time and Shaping the Self“ (A. Baggermann/R. Dekker) als maßgeblicher Orientierungsrahmen des autobiographischen Schreibens seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Vor diesem Hintergrund hinterfragt der Beitrag die dezidiert säkulare Ausrichtung zukunftsorientierter Konzept- und Handlungsfelder, wie Fortschritt, Entwicklung, aber auch Besserung und Vervollkommnung und spürt den heilsgeschichtlich engen Korrelationen von Entwicklungen des Menschen, seiner Selbst und der Natur sowie deren Überführung und Herstellung in der Praxis nach.

Manuel Kohlert (Kassel)
„Views into all the scenes of futurity“. Nachtodvorstellungen im England des 18. und frühen 19. Jahrhunderts

Der Vortrag untersucht die diskursive Produktion von Jenseits- bzw. Nachtodvorstellungen anhand von vornehmlich Zeitschriftenbeiträgen und Rezensionen publizistischer Quellen des 18. und 19. Jahrhunderts. Im Allgemeinen lässt sich für den englischsprachigen Diskurs kein homogenes Bild der raum-zeitlichen Verortung und der Konstitution des „Future State“ zeichnen. Der Beitrag fühlt sich der gängigen These der Pluralisierung, Vervielfältigung und Diversifizierung des Jenseitsdiskurses seit dem Mittelalter verpflichtet und spürt dessen zeitgenössischen Bedeutungen unter dem Fokus auf konkurrierende Formen von Wissen nach.

Alexander-Kenneth Nagel (Göttingen)
Offenbarung und Evidenz. Zur Produktion von religiösem Zukunftswissen in der Lorber-Bewegung

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts schrieb der österreichische Volksschullehrer Jakob Lorber (1800 – 1864) rund 20.000 Manuskriptseiten nach dem Diktat der „Gnadenstimme des Herrn Jesus Christus“ nieder. Lorber, der zeit seines Lebens Mitglied der Römisch-katholischen Kirche blieb, verstand seine Neuoffenbarung als Ergänzung und Aktualisierung des biblischen Kanons. Seine Visionen sind zum Teil getragen von einer ausgeprägten apokalyptischen Naherwartung. Im Vortrag sollen aus einer wissenssoziologischen Perspektive die Plausibilitäts- und Relevanzstrukturen analysiert werden, die den andauernden Erfolg von Lorbers Neuoffenbarung verbürgen. Im Kontext der Sektion steht der Beitrag für die Persistenz eines dezidiert religiösen Zukunftswissens im Übergang zur Moderne.

Hubertus Büschel (Kassel)
Gottgewollte Zukunft – Protestantische Zivilisierungsmissionen in den Usambarabergen um 1900

In dem Vortrag geht es darum, die tiefe Imprägnierung zivilisierungsmissionarischer Praktiken deutscher Missionare in den Usambarabergen mit protestantischer Ethik und religiös argumentierenden Zeitperspektiven nachzuzeichnen. Missionarische Praktiken im Kolonialismus (wie die sogenannte „Erziehung der Eingeborenen zur Arbeit”) waren – wie vielfach herausgestellt worden ist – von rassistischen Vorstellungen der eigenen Überlegenheit und der Hilfsbedürftigkeit und Unterlegenheit der „Anderen” geprägt. Wie eng solche Rassismen allerdings wiederum mit religiösen Zeitvorstellungen, Diskursen und Praktiken verwoben waren, ist bislang noch nicht hinreichend analysiert worden. Dabei war es gerade die häufig ostentativ betonte religiöse und damit vermeintlich unstrittige und unanfechtbare eigene Heils- und Sendungsgewissheit, die Missionaren immer wieder dazu diente, lokale Praktiken und Diskurse über Zeit und Zukunft in Frage zu stellen, abzuwerten und auszulöschen.

Arndt Brendecke (München) Achim Landwehr (Düsseldorf)
Kommentar