Logo des 49. Historikertags 2012 Ressourcen und Konflikte

49. Deutscher Historikertag 2012: Ressourcen - Konflikte

Sowjetische und nationalsozialistische Arbeitskräftepolitik in den 1930er Jahren am Beispiel von Großbaustellen

Referent/in: Dietmar Neutatz (Freiburg i. Br.)

Abstract:
Staatliche Großbaustellen können als Räume betrachtet werden, in denen sich die Arbeitskräftepolitik der totalitären Regime in verdichteter Form exemplarisch vergleichen lässt. Sowohl in der Sowjetunion als auch im nationalsozialistischen Deutschland gab es in den dreißiger Jahren große staatliche Bauvorhaben, die mit hoher Priorität und durch den konzentrierten Einsatz von Arbeitskräften vorangetrieben wurden. Dabei kamen verschiedene Formen der gelenkten Allokation von Arbeitskräften zum Einsatz.

Der Bau der Moskauer Metro ist ein Beispiel für die Konzentration von Arbeitskräften über die Instrumente der organisierten Anwerbung und der „Mobilisierung“. Appelle an den „Enthusiasmus“ von Jugendlichen, die gemeinsame Kraftanstrengung zur Verwirklichung des sozialistischen Aufbaus und freiwillige unbezahlte Zusatzarbeit der Moskauer Bevölkerung am Wochenende („Subbotnik“) standen einem chaotischen Kommen und Gehen von ungelernten Arbeitskräften gegenüber, die während der Hungersnot von 1932/33 zu Hunderttausenden aus den kollektivierten Dörfern flüchteten, um auf einer Großbaustelle oder in den Städten ihr Überleben zu sichern.

Die Errichtung des Weißmeer-Ostsee-Kanals basierte hingegen auf dem Einsatz von Häftlingen. Zwangsarbeit als Mittel der Umerziehung war die Devise, die bei diesem Projekt offen nach außen hin – sogar in Publikationen, die sich an ein ausländisches Publikum richteten – zur Schau gestellt wurde. Namhafte Schriftsteller gaben sich dazu her, die Zwangsarbeit als erzieherische Maßnahme zu Gunsten der Betroffenen zu stilisieren.

Der Autobahnbau in Deutschland wurde vom nationalsozialistischen Regime als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme inszeniert. Man verzichtete in den ersten Jahren bewusst auf Mechanisierung, um möglichst viele Arbeitslose beschäftigen zu können. Auch hier gab es ein erzieherisches Moment und eine Militarisierung der Arbeit. Der propagandistischen Überhöhung des Unternehmens standen Friktionen in der lebensweltlichen Praxis gegenüber, die ebenfalls gewisse Parallelen zu den Verhältnissen in der Sowjetunion aufwiesen.

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