Logo des 49. Historikertags 2012 Ressourcen und Konflikte

49. Deutscher Historikertag 2012: Ressourcen - Konflikte

Regionale Behörden als Lösungsinstanzen für Ressourcenkonflikte. Das Beispiel der Versorgungspolitik des NS-Staats, 1939-1944/45

Referent/in: Jörn Brinkhus

Abstract:
Wie konnte das „Dritte Reich“ bis 1945 Bestand haben und einen Weltkrieg gegen eine überlegene Koalition gegnerischer Mächte führen, wenn sein Staats- und Verwaltungsaufbau als chaotische Polykratie zu kennzeichnen ist? Jüngere Studien lösen den Widerspruch zwischen der Mobilisierungsleistung und Stabilität des NS-Regimes einerseits, dem unkoordinierten Neben- und Gegeneinander seiner Herrschaftsträger andererseits auf, indem sie die Kooperation auf regionaler und lokaler Ebene untersuchen und die Zusammenarbeit der Mittel- und Unterinstanzen als wichtige Ursache für die totale Indienststellung von Ressourcen zu Zwecken der Kriegsführung identifizieren. Dieser Zusammenhang kann indes differenzierter betrachtet werden: Das Beispiel der Versorgungspolitik zeigt, dass die Behörden Ressourcenkonflikte nur entschärfen, aber nicht lösen konnten. Denn bei der Mangelversorgung der Bevölkerung mit Textilien, Schuhen usw., die sich aus der einseitigen Allokation von Ressourcen zu Zwecken der Rüstungspolitik ergab, musste das Regime unliebsame Verteilungsfragen beantworten. Durch eine Verbrauchsregelung versuchte das Reichswirtschaftsministerium, soziale Konflikte zu entschärfen und so die Legitimität des NS-Staats im Kriegsalltag zu erhalten. Bei der Umsetzung dieser Versorgungspolitik nutzte die regionale und lokale Rationierungsbürokratie Entscheidungsspielräume, weitete diese in der Praxis aus und kooperierte mit anderen Herrschaftsträgern, um die Widersprüche der Wirtschaftspolitik auszugleichen. Die Akteure legten auf Verteilungsgerechtigkeit Wert, bemühten sich, eine Minimalversorgung sicherzustellen, und trugen so zur Stabilisierung der NS-Herrschaft vor Ort bei. Gleichzeitig untergrub diese zuweilen freihändige Implementation die Kohärenz und die Effizienz der vom zentralen Lenkungsapparat konzipierten Konsumregulierung, ohne den im Kriegsverlauf sinkenden Lebensstandard effektiv heben zu können.

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