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49. Deutscher Historikertag 2012: Ressourcen - Konflikte

Arbeitskraft als Ressource in totalitären Regimen im 20. Jahrhundert am Beispiel der Sowjetunion und des nationalsozialistischen Deutschland

Zeit: 27.09.2012, 09:15 - 13:00
Ort: P 110
Kategorie: Neuere/Neueste Geschichte

Sektionsleiter/in: Dietmar Neutatz (Freiburg i. Br.)

Abstract:
Nach der Revolution 1917 wurde in Sowjetrussland eine allgemeine Arbeitspflicht eingeführt und in der Verfassung von 1918 verankert. Die Bolschewiki verstaatlichten und militarisierten die Arbeit durch die Einrichtung von Arbeitslagern und die Schaffung von Behörden zur Steuerung der Allokation von Arbeitskräften. In den 1920er Jahren wurden somit die Grundlagen eines neuen Systems gelegt, das auf der allgemeinen Arbeitspflicht und auf der Ausübung nichtökonomischen Zwanges basierte. Im Laufe der Kollektivierung und Industrialisierung stieg die Zahl der Verbannten, Entrechteten und Verhafteten, die Zwangsarbeit leisten mussten, explosionsartig an. Aber auch die Rechte der „freien“ Arbeitskräfte wurden in den 1930er Jahren stark eingeschränkt: Weder Kolchosmitglieder noch Industriearbeiter durften (offiziell) ihren Arbeitsplatz wählen oder wechseln (was sie nicht völlig hinderte, es dennoch zu tun). Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges standen die wirtschaftlichen und menschlichen Ressourcen in der UdSSR unter (fast) vollständiger Kontrolle des Regimes. 

Auch im nationalsozialistischen Deutschland war die Nutzung der Ressource Arbeitskraft eine Angelegenheit, die der Staat nicht nur der privaten Wirtschaft überließ. Große staatliche Bauvorhaben wie zum Beispiel der Autobahnbau oder die Arbeiten am Westwall hatten die gezielte Allokation von Hunderttausenden Arbeitern zur Folge. Während des Zweiten Weltkriegs bediente sich das nationalsozialistische Deutschland der Arbeitskräfteressourcen in den besetzten Gebieten, um die Produktion im Reich aufrecht zu erhalten. Besonders betroffen waren die besetzten Gebiete der Sowjetunion. Aus ihnen wurden millionenfach Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt. Diejenigen unter ihnen, die vor dem Krieg als Kolchosbauern gearbeitet hatten, konnten aus eigener Erfahrung die Arbeit in der kollektivierten Landwirtschaft mit Formen der Zwangsarbeit in Deutschland vergleichen. Zugleich versuchte NS-Deutschland das Wirtschaftspotential der besetzten Gebiete für sich nützlich zu machen, wobei sich seine Repräsentanten beim Zwang zur Arbeit (in Landwirtschaft und Industrie) nicht selten ähnlicher Methoden bedienten, wie man sie aus der Zeit der ersten sowjetischen Fünfjahrespläne schon kannte.

Die Reformen nach Stalins Tod bedeuteten für viele Millionen Sowjetbürger die Entlassung aus den Lagern bzw. Verbannungsorten und Befreiung von Zwangsarbeit. 1956 trat die UdSSR der Konvention zum Verbot von Zwangsarbeit bei. Andererseits tat sich die sozialistische Planwirtschaft, die fast 30 Jahre lang unfreie Arbeit genutzt hatte, mit den Reformen schwer. Dies hatte zur Folge, dass die Arbeitspflicht in Strafvollzuganstalten genauso weiterhin existierte wie Meldepflicht und das Passregime für „freie“ Arbeitnehmer.

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