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49. Deutscher Historikertag 2012: Ressourcen - Konflikte

Europäische Geschichtsbücher, digitale Lernplattformen oder bilaterale Schulbuchprojekte? Transkulturelle Sichtweisen in der europäischen Schulbuchdarstellung

Zeit: 26.09.2012, 09:15 - 13:00
Ort: P 2
Kategorie: Geschichtsdidaktik

Sektionsleiter/in: Ulrich Bongertmann (Rostock) / Simone Lässig (Braunschweig) / Rolf Wittenbrock

Abstract:
Die Gestaltung von Lehrplänen und Arbeitsmitteln für den Geschichtsunterricht steht in verschiedenen Ländern im Spannungsfeld widerstreitender bildungspolitischer Vorgaben und Erwartungen. Einerseits sind deutliche Tendenzen einer Renationalisierung erkennbar, andererseits wird aber angesichts des – trotz aller Krisen – beschleunigten Integrationsprozesses in Europa eine Öffnung des Geschichtsunterrichtes gefordert, um das nationalstaatliche Prisma durch eine europäische Perspektive zu überformen. Wenn der Geschichtsunterricht seiner Aufgabe und seinem Anspruch gerecht werden will, den Schülern/innen von heute eine Orientierung in einer Welt von morgen zu ermöglichen, dann müssen neben den nationalgeschichtlichen Themenfeldern auch europäische Vernetzungen sowie globale Interaktionen in den Mittelpunkt historischen Lernens rücken. Lange Zeit hat man im Geschichtsunterricht darauf verzichtet, dies angemessen zu berücksichtigen. Nicht zuletzt spielte dabei die Frage eine Rolle, ob – trotz allen Bemühens um didaktische Reduktion – die Komplexität transnationaler und globaler Betrachtungsweisen im schulischen Unterricht angemessen und schülergerecht erarbeitet werden kann.

Teil 1:
Bereits vor nunmehr 20 Jahren erschien ein „Europäisches Geschichtsbuch“, verfasst von zwölf Historikern aus verschiedenen europäischen Ländern. Dieses verdienstvolle Pilotprojekt zeigte nachdrücklich, welche Probleme und Hindernisse der inhaltlichen Konstruktion und vor allem der Nutzung in verschiedenen Ländern im Wege stehen. Bis heute scheint kein Konzept in Sicht zu sein, das den vielfältigen Erwartungen und Anforderungen an ein solch transnationales Schulbuch gerecht werden könnte. Sehr viel aussichtsreicher sind hingegen zwei andere Strategien, die ebenfalls – aber auf einem anderen Weg – eine europäische Öffnung des Geschichtsunterrichts anstreben.

Zum einen präsentieren Sylvia Semmet (Speyer) und Geert Kessels (Den Haag) das vom europäischen Geschichtslehrerverband EUROCLIO initiierte und noch im Aufbau befindliche Projekt „Historiana“. Im Hinblick auf die Nutzung digital verfügbarer Medien und Dokumente lässt sich damit im Vergleich – unter besonderer Berücksichtigung der Unterrichtsbedingungen in Postkonfliktgesellschaften – fragen, inwieweit diese Lehrmaterialien neue didaktische Formen des Unterrichts und transnational-europäische Sichtweisen, die auch ein verändertes Rollenverständnis bei Lehrern/innen und Schülern/innen implizieren, nach sich ziehen. Zum anderen wird Marat Gibatdinov am Beispiel der ethnischen Vielfalt die Probleme, die mit einem einheitlichen europäischen Narrativ/Schulbuch verbunden sind, referieren. Insgesamt stellt sich auch vor dem Hintergrund wachsender Europaskepsis und Desintegrationsprozesse die Frage nach geeigneten medialen Formen für den zukünftigen Geschichtsunterricht: sei es die Konstruktion einer supranationalen historischen Meistererzählung in einem europäischen oder multilateralen Geschichtsbuch, das traditionelle reguläre (mononational verfasste und implementierte) Lehrbuch als „Leitmedium“ oder virtuelle Darstellungen, die Schüler/innen für die Vielfalt der Erinnerungen in Europa sensibilisieren. Die beiden Vorträge dieses Teiles werden in englischer Sprache gehalten, allerdings wird es eine deutschsprachige PPP geben. Zudem wird Frau Semmet die wichtigsten Passagen übersetzen.

Teil 2:
Während die noch im Aufbau befindliche digitale Plattform „Historiana“ wie auch das Geschichtsbuch von 1992 in ihrer Genese und Zweckbestimmung als multilaterale Projekte zu betrachten sind, haben zwei andere Initiativen einen bilateralen Lösungsweg gewählt: 

  • Seit dem Jahr 2011 liegt das deutsch-französische Geschichtsbuch (DFGB) für dieOberstufe in jeweils drei inhaltsgleichen Bänden in deutscher und französischer Sprache vor.
  • Ein deutsch-polnisches Geschichtsbuch (DPGB) für die Mittelstufe wird zurzeit von einem binationalen Autorenteam konzipiert und soll in wenigen Jahren zur Verfügung stehen.

Beide Projekte fühlen sich dem Konzept einer doppelten Perspektivierung historischer Fakten und Deutungen verpflichtet und lösen sich somit bewusst aus dem Korsett einer mononationalen Betrachtungsweise. Inhaltlich beschränken sie sich keineswegs auf eine additive Präsentation zweier nationalgeschichtlicher Narrative, sondern sie öffnen ihr Blickfeld durchgehend auf erweiterte europäische Bezugsräume, deren Schwerpunkte jedoch aufgrund der bilateralen Vorgaben voneinander abweichen: Während das DFGB eher einen westeuropäischen Fokus hat, öffnet sich das DPGB eher der osteuropäischen Geschichte. Beide Schulbuchprojekte werden von jeweils einem binationalen Tandem (für das DFGB Prof. Etienne François und Peter Geiss und Rainer Bendick; für das DPGB Karl- Heinrich Pohl und Robert Traba) hinsichtlich ihrer spezifischen Entstehungsbedingungen und didaktischen Zielsetzungen vorgestellt. Bei den Referenten handelt es sich um Mitglieder der Steuerungs-/ Projektgruppen bzw. um Lehrer, die als Autoren und Herausgeber an den Projekten maßgeblich beteiligt waren bzw. sind.

Die Präsentation dieser bilateralen Projekte wird abgeschlossen durch erste Erfahrungsberichte von Schüler/innen, die das deutsch-französische Geschichtsbuch in ihrem Unterricht benutzt haben.

Teil 3:
Die von den Schüler/innen präsentierte Nutzerperspektive leitet über zu der Generalaussprache mit dem Publikum, die möglicherweise auch Impulse für die zukünftige Gestaltung transnationaler Schulbuchprojekte setzen kann. Dabei werden alle Referenten/innen zu den Fragen aus dem Plenum Stellung nehmen. Da diese aus den Bereichen der Fachwissenschaft, derGeschichtsdidaktik sowie der Unterrichtspraxis kommen, ist die Erörterung eines breiten Spektrums theoretischer, aber auch eher unterrichtspraktischer Fragen willkommen. Es ist erwünscht, dass neben den eingeladenen Schülern/innen auch Oberstufenschüler/innen aus dem Publikum sich aktiv an der Aussprache beteiligen.

 

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